2013
ÖWF on Mars – Arthur Gordon Wolf – Day 4
Liebe Leserinnen und Leser!
Besonders in der Literatur ist die Summe mehr, als ihre Teile. Eine Maxime, die sich in den Arbeiten des Autors Arthur Gordon Wolf immer wieder findet. Der 1962 geborene Autor führt seine Geschichten in einer mythischen Welt zusammen, die ihresgleichen sucht.
„… stehts spielt das Element des „Doppelbödigen“, des „Unheilvollen“, ein zentrales Motiv …“ – daher ist es naheliegend, dass wir heute Platz schaffen für etwas Phanatsie und Imagination während der Exploration.
Vorhang auf für …
„AIOLOS“
Kurzgeschichte von Arthur Gordon Wolf
Die folgenden bruchstückhaften Aufzeichnungen wurden 16 Jahre nach der ersten bemannten Marsmission von einem Aufklärungsteam in den Überresten der alten Station gefunden. Sie stellen das bislang einzige Indiz dar, das Aufschluss über das mysteriöse Scheitern des Unternehmens geben kann.
Aus dem persönlichen Log des Flight Engineers Prajit Narayan, USMS Intrepid II (Ort: Mars, Bodenstation „AIOLOS“, Hellas Planetia, 42,1° südliche Breite, 46,4° östliche Länge):
„SOL 7 der Mission: Der Stauborkan hält mit unvermittelter Stärke an. Jeglicher Funkkontakt mit der Erde ist unterbrochen. Selbst in den ruhigeren Phasen des Sturms dringt kein Signal nach außen. Der Orkan bewegt sich in merkwürdigen Wellen. Wir haben Spitzengeschwindigkeiten von über 340 km/h gemessen. Die Bodenmodule der Station vibrieren sehr stark, doch bislang scheinen sie zu halten. Welcher Scherzbold hat sich nur den Namen für die Station ausgedacht? Eine Ironie des Schicksals, ausgerechnet den Gott der Winde zu wählen. Oder wusste man damals schon von diesem Mega-Sturm? Laut unseren Informationen wäre mit einem derartigen Sommerhurrikan erst 40-50 SOLS später zu rechnen gewesen. Wir versuchen das Beste daraus zu machen und hoffen auf baldige Wetterberuhigung.“
„SOL 8: Auch heute keine Veränderung was den Sturm betrifft. Commander Barak O’Toole hat vergeblich versucht, die Erde anzufunken. Es gibt kein Durchkommen. Mission Specialist Steve Nowak und ich haben damit begonnen, weitere Bodenproben zu untersuchen, die wir während der ersten drei Tage hier im Krater gesammelt haben. Darunter befinden sich auch zahlreiche Steine, die unser mechanischer Spürhund als ‚interessant‘ eingestuft hat. Nur gut, dass wir zusammen mit ‚Snooper‘ drei volle SOLS zur Erkundung hatten; ohne Proben könnten wir hier lediglich standardisierte Tests abhaken. Oder Schach und Poker spielen. Das Heulen des Sturms beginnt an meinen Nerven zu zerren.“
„SOL 9: Der Staubsturm hält mit unverminderter Stärke an. Während der Nacht, die sich durch den Hurrican ohnehin nicht erkennen lässt, verwende ich Ohrenstöpsel, um zumindest ein wenig Ruhe zu finden. – Unter den Gesteinsproben fanden sich mehrere ungewöhnliche Stücke. Drei etwa faustgroße Steine scheinen überaus viel Pyroxen zu enthalten. Ihre Strichfarbe ist ein grünliches Weiß. Seltsam, wo wir uns doch hier auf dem roten Planeten befinden. Nowak glaubt, dass sie aus der höheren ‚Hellespontus Montes‘-Zone stammen. Ich tippe eher auf Meteorite, die ja auch den gewaltigen Krater geschaffen haben, in dem wir uns gerade befinden. – O’Toole hat uns heute zum Abendessen einen edlen Cabernet Sauvignon kredenzt, den er irgendwie an Bord schmuggeln konnte. Vielleicht kann ich heute sogar auf meine blöden Stöpsel verzichten.“
„SOL 10: Immer noch kein Abklingen des Sturms in Sicht. Nowak hat dafür eine geradezu phantastische Entdeckung gemacht! Beim Säubern eines der grünlichen Pyroxen-Steine brach ein Stück auseinander. Bei dem kleineren ‚Bruchstück‘ handelte es sich allerdings nur um eine Art Kokon aus verdichtetem Eisenoxid. Darunter kam eine Figur zum Vorschein. Diese ‚Skulptur‘ lässt tatsächlich eine Art Rumpf und mehrere Extremitäten erkennen. Nowak hat sie sofort unters Mikroskop gelegt, um jeglichen Zufall auszuschließen. Doch die Vergrößerungen belegen kleinste, exakt ausgeführte Schab- und Kratzspuren. Teile der länglichen Extremitäten – Nowak nennt sie Tentakel – weisen ein deutlich erkennbares Schuppenmuster auf. Dieses grünliche ‚Ding‘ wurde eindeutig künstlich (oder sollte ich ‚künstlerisch‘ sagen?) hergestellt! Es ist unglaublich. Da hofft man in seinen kühnsten Träumen darauf, auf winzigste Mikroben zu stoßen und dann entdeckt man die Überreste einer ganzen Kultur. Wir haben keine Ahnung, was dieser Fund bedeutet. War der Mars etwa tatsächlich vor vielen Millionen Jahren besiedelt? Oder stammt dieses Artefakt von einer weit entfernten Galaxie? Doch wie auch immer die Antwort lauten mag, eine Frage dürfte hiermit nun endgültig beantwortet sein: Wir sind nicht allein hier draußen.“
„SOL 11: Die Hurricanwellen verlaufen in breiteren Amplituden. Die Geschwindigkeitsskala reicht jetzt von 62 bis 304 km/h, wobei die ‚Ruhephasen‘ deutlich länger werden. Ein erster Hoffnungsschimmer? – Das Wetter spielt aber angesichts unseres Fundes nicht einmal mehr eine sekundäre Rolle. Nowak hat die ‚Figur‘ nun nochmals intensiv gesäubert. Man kann eindeutig eine Lebensform erkennen. Dort, wo man jedoch den Kopf vermuten würde, ist lediglich eine Art ‚Wulst‘ angedeutet. Augen sucht man ebenfalls vergeblich. Dafür scheinen sich an zwei der Extremitäten klauenartige Fortsätze zu befinden. Die Frage, die wir uns stellen, lautet: Hat der unbekannte Künstler ein Gottwesen aus seiner Vorstellung heraus erschaffen oder arbeitete er nach einem realen Vorbild? Unsere Diskussionen sind spannender als jede noch so packende Poker-Runde. – O’Toole hat mehrmals versucht, Huston über den Fund zu informieren. Wieder gibt es kein Durchkommen.“
„SOL 12: Etwas Unglaubliches ist geschehen! Die Skulptur ist verschwunden! Als Nowak heute Morgen ins Labor kam, befand sich der Probenbehälter an der vorgesehenen Stelle. Doch die Probe ‚MRP-47C‘ fehlte. Obwohl die Figur kaum von allein aus dem verschlossenen Gefäß entweichen konnte und folglich nur einer von uns Dreien für das Verschwinden verantwortlich ist, haben wir nahezu den ganzen Tag alle Stationsmodule abgesucht. Selbstverständlich haben wir auch unsere Privatkabinen nicht ausgespart. Selbst den Toilettentank haben wir durchleuchtet. Nichts! Es ist eigentlich unmöglich, doch das grüne Ding ist unauffindbar. – Die Stimmung kippte recht schnell. Vor allem Nowak wurde fuchsteufelswild. Er sieht sich als ‚Entdecker‘ des Artefakts und glaubt, O’Toole oder ich hätten ihm seinen Ruhm nicht gegönnt. Oder wir beide gemeinsam. Bis zum Abend hin schrie er nur unverständliches Zeug über Verschwörungen und Intrigen. Auf die Frage, wo wir beide denn die Skulptur hätten verstecken sollen, fiel ihm jedoch nichts Rationales ein. Unsere Anzüge für den Außeneinsatz hängen nunmehr seit neun Tagen unbenutzt im Schleusenraum. Das gegenseitige Misstrauen wächst. O’Toole wirft auch mir seltsame Blicke zu. Ich weiß überhaupt nicht, was ich von der ganzen Sache halten soll. Es ist mehr als mysteriös.“
„SOL 13: In der Nacht glaubte ich seltsame Schreie gehört zu haben, doch am Morgen tat ich alles als Folge des stressigen Tages ab. Die Atmosphäre in der Station ist weiterhin sehr angespannt. Nowak durchkämmt jeden Winkel wie ein nervöser Spürhund, obwohl wir alles bestimmt schon zehnmal von unten nach oben gekehrt haben. Die Skulptur bleibt weiterhin unauffindbar. – Die ‚Sturmflauten‘ dauern jetzt manchmal schon mehr als eine halbe Stunde an, und der Wind geht dann bis auf 47 km/h herunter. Die Temperaturen schwanken zwischen -91°C in der Nacht und -32°C am Tag. Es wird wärmer. Immerhin etwas.“
„SOL 14: In der Nacht schrecke ich auf. Trotz meiner Stöpsel. Ich höre wieder diese Schreie. Kreischend hohe Töne, die problemlos das ständige Sturmtosen überlagern. Ich stehe auf und stelle fest, dass ich offenbar der einzige bin, den diese Schreie geweckt haben. O’Toole und Nowak liegen beide noch in ihren Kojen. Ich gehe in den Aufenthaltsraum und blicke eher zufällig durch eines der Fenster. Statt finsterer Nacht sehe ich dort draußen ein merkwürdiges Licht. Ein gelbliches Schimmern hinter dem wirbelnden Staub. Und dann beginnt sich der Staub zu verändern, zu formen. Es bilden sich mit einem Mal mehrere längliche Zylinder. Ich kann ihre Größe nur erahnen, da ich die Entfernung zur Station nicht kenne. Aber sie müssen gewaltig sein. Wie die Rüssel irdischer Hurricans. Doch dann wachsen wirbelnde Arme aus den Staubröhren. Vier, dann acht Extremitäten bei jedem der Zylinder. Die Formen kommen mir seltsam vertraut vor. Die Staubkreaturen halten genau auf die Station zu, werden immer größer. Erst jetzt bemerke ich, dass auch die Schreie immer lauter werden. Entsetzt weiche ich zurück und haste zu meinen schlafenden Kameraden hinüber. Ich rüttele sie wach und schreie wirres Zeug, damit sie mir folgen. Als wir schließlich alle vor dem Fenster stehen, ist dort nur undurchdringliche Schwärze. Und das Toben des Sturms. Keine Staubwesen und auch keine Schreie. Ich fordere sie auf, zu warten, erzähle von dem seltsamen Leuchten, den Schreien und den gigantischen Kreaturen, doch O’Toole glaubt, ich hätte lediglich einen Albtraum gehabt. Nowak starrt mich an, als ob ich seine geliebte Skulptur gestohlen hätte. Obwohl ich weiß, wie verrückt meine Worte klingen, ja, wie überdreht mein ganzes Auftreten wirken muss, flehe ich sie an, zusammen mit mir auf die Rückkehr der Wesen zu warten. O’Toole gibt mir den Rat, eine Halcion zu nehmen und verschwindet wieder. Nowak begleitet ihn wortlos. Ich stehe noch mindestens eine Stunde lang am Fenster, aber die Dunkelheit will nirgendwo weichen. Habe ich mir alles etwa nur eingebildet? – Den Rest der Nacht schlafe ich schlecht aber traumlos. Gegen Morgen bin ich auch der erste, der wieder auf den Beinen ist. Ich habe bereits meinen dritten Kaffee intus, als Nowak mir Gesellschaft leistet. Er spricht nur das Nötigste mit mir. Keiner von uns erwähnt den nächtlichen Vorfall. Nach einiger Zeit fällt uns auf, dass O’Toole fehlt. Normalerweise ist der Commander derjenige, der uns zum Frühstück begrüßt, allein schon deswegen, weil er zuvor regelmäßig sein hartes Fitness-Programm absolviert. (Nowak und ich belassen es bei den vorgeschriebenen Minimal-Einheiten.) Gemeinsam gehen wir zu seiner Schlafkoje, doch die ist verlassen. ‚AIOLOS‘ ist keine große Station und so haben wir schon bald jeden Bereich abgesucht. Von Commander Barak O’Toole fehlt jedoch jede Spur. Dann habe ich bemerkt, dass einer der Outdoor-Anzüge fehlt. Wir trauen zuerst unseren Augen nicht. „Das ist einfach unmöglich“, wiederholt Nowak immer und immer wieder. Wie ein Mantra. „Draußen weht es mit über 200 Sachen. Selbst angebunden hätte man allein dort keine Überlebenschance.“ – „Vielleicht ist er während einer ‚Flaute‘ raus“, gebe ich zu bedenken. Wir können uns allerdings nicht erklären, warum niemand das Schleusensignal gehört hat. Eine andere Frage ist noch weitaus beunruhigender: Aus welchem Grund sollte O’Toole heimlich die Station verlassen haben? – Auch wenn wir wenig Sinn darin sehen, warten wir knapp drei Stunden ab, bevor wir zu einer Erkundungs-Tour aufbrechen. Die Windgeschwindigkeit ist bis auf 32 km/h gesunken. Doch für wie lange? Die Außentemperatur beträgt ‚warme‘ -26° C. Die zuletzt gemessene ‚Flaute‘ dauerte 73 Minuten. Wir setzen für die Suche maximal 45 Minuten an, um kein Risiko einzugehen. Die Chancen, O’Toole lebend zu finden, stehen bei 1: 1 Million. Wir gehen trotzdem.
Wir suchen in westlicher Richtung auf die Gipfel der ‚Hellespontus Montes‘ zu. Wenn O’Toole überhaupt eine Überlebenschance besitzt, dann vielleicht in einer der Grotten der Gebirgshänge. Doch ich bezweifle das. Beide ‚Scrambler‘ stehen noch im Hangar. Wir nehmen ‚Srambler1‘ und fahren los. Der Fuß des Gebirges liegt über sechs Kilometer von der Station entfernt. Die Sicht ist überraschend gut, doch vor uns erstreckt sich nur rostbraune Ödnis. Als wir die ersten steileren Aufwerfungen erreichen, bleibt uns nicht mehr viel Zeit. Scharfe Windböen künden bereits wieder vom Ende der ‚Flaute‘. Nowak und ich sondieren die Hänge mit unseren Ferngläsern, aber nirgendwo lässt sich auch nur die Ahnung eines weißen Anzuges entdecken. Wir finden nicht einmal Höhlen, in die der Commander hätte kriechen können. Nach 25 Minuten tippe ich Nowak auf die Schulter. Wir sind bereits spät dran, doch er will weitersuchen. Gegen jede Vernunft. Als ich ihn erneut antippe, schreit er mich so laut an, dass ich durch die Rückkopplung ein hohes Fiepen im Ohr behalte. – Endlich sieht auch er die Sinnlosigkeit seines Handelns ein und wir fahren zurück. Die Böen werden immer stärker, doch es gelingt uns, unbeschadet zurück zur Station zu gelangen. Nur acht Minuten nach unserem Eintreffen tobt draußen schon wieder ein Sturm mit 184 km/h. Wir haben verdammtes Glück gehabt.
Bis zum Abend versucht Nowak vergeblich, Kontakt mit Huston zu bekommen. Niemand von uns spricht über O’Toole. Und doch sitzt er die ganze Zeit über genau zwischen uns.“
„SOL 15: Die Nacht verläuft ereignislos, wenn auch nicht ruhig. Meine Ohrstöpsel haben mich aber den ewig kreischenden und zerrenden Hurrican vergessen lassen. O’Toole konnte ich jedoch nicht aus meinen Gedanken verdrängen. Wirre Träume begleiten mich. Am Morgen kann ich mich an deren Inhalt jedoch nicht mehr erinnern. Ist vielleicht auch gut so. – Habe verschlafen. Als ich in den Aufenthaltsraum komme, ist die Kaffeemaschine aus. Nowak ist nirgends zu sehen. Mit einem komischen Gefühl in der Magengegend gehe ich zu seiner Koje. Sie ist leer. Ich haste direkt hinüber zur Schleuse, ständig Nowaks Namen brüllend. Es klingt unheimlich in der einsamen Station. Ich erhalte keine Antwort. Erst jetzt fällt mir auf, dass das ununterbrochene Heulen des Windes verstummt ist. Eine erneute Flaute? – Im Schleusenmodul sind alle Anzüge noch an ihrem Ort. Ich rufe am Monitor die Liste der Schleusenöffnungen auf. Warum sind wir gestern nicht auf die Idee gekommen? Und da finde ich einen Eintrag. O’Toole hat die Station am SOL 14 gegen 5 Uhr 13 Ortszeit verlassen. Weitere Daten fehlen. Nowak muss sich demnach noch irgendwo in der ‚AIOLUS‘ befinden. Doch wo? Und warum antwortet er nicht auf meine Rufe? Spielt der Mistkerl jetzt etwa Spielchen mit mir? – Wie schon zuvor bei der Suche nach der Skulptur durchkämme ich jeden Winkel, doch Nowak ist nirgends zu finden. Vollkommen unmöglich, sage ich mir immer wieder. Steve Nowak ist zudem deutlich größer als das grüne Artefakt. Wie kann ich ihn da in nur vier Modulen übersehen? Aber es ist so. Nowak ist nicht mehr in der Station! – Ich versuche, das Unheimliche, das Bizarre der Situation auszublenden und begebe mich zur Funkstation. Obwohl der Stauborkan vorübergezogen ist, empfange ich nichts als statisches Rauschen. Ich sende dennoch meinen Spruch und warte die maximalen 42 Minuten für eine Antwort ab. Nichts. Auch nach über einer Stunde nur dieses nervige Rauschen. Etwas in diesem gottverlassenen Krater blockiert die Sende-und Empfangsanlage. – Den Rest des Tages warte ich auf ein Wunder, darauf, dass Nowak und O’Toole plötzlich wieder auftauchen und alles nur ein übler Scherz war. Aber nichts geschieht. Auch die Funkanlage schweigt. Die Ruhe draußen hält an. Der Wind weht im Mittel nur noch mit 23 km/h. Die Temperaturen haben sich auf -17°C erhöht. Ich traue der Ruhe nicht.“
„SOL 16: Wieder eine Nacht mit wirren Träumen, ansonsten umgibt mich am Morgen unheimliche Stille. Mir fehlt plötzlich das Kreischen des Orkans. Ich sitze den Großteil des Tages am Fenster und starre auf die Landschaft. Der Wind hat sich fast vollkommen gelegt. Die Temperaturen sind hoch auf -7°C. Es wird Sommer.“
„SOL 17: Ein weiterer Tag in der Stille. Doch gegen Mittag macht sich die Funkanlage bemerkbar. Ich eile zum Mikro, doch alles, was ich höre, ist ein hohes Kreischen. Es sind keine Rückkopplungen, da bin ich mir sicher. Ich habe dieses Kreischen schon mal gehört. In der Nacht, in der O’Toole verschwand. Will jemand oder etwas mit mir Kontakt aufnehmen? Ich schreie Flüche ins Mikro, brülle meine Angst, meine Wut, einfach alles heraus. Es erfolgt keine Antwort. Nur wieder dieses Hintergrundrauschen.“
„SOL 18: In der Nacht höre ich Geräusche. Schritte. Jemand ist in der Station! Ich springe auf und lasse überall die Lichter angehen. Bewaffnet mit einer langen MagLite gehe ich von Modul zu Modul. Unsinnigerweise fordere ich den Einbrecher auf, sich zu zeigen, doch mir antwortet nur die Stille. Nichts. Habe ich die Schritte vielleicht nur geträumt? Oder spukt es hier auf ‚AIOLUS‘? – Ich gehe zurück in meine Koje, habe aber Probleme mit dem Einschlafen. – Den Tag über verbringe ich wieder am Fenster, sehe aber nur rostige Wüste.“
„SOL 19: Wache auf und stelle fest, dass ich noch immer am Fenster hocke. War die Nacht über nicht in meiner Koje. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt etwas gegessen habe. Seltsam, aber ich verspüre keinen Hunger. Draußen geschieht etwas. Es ist noch weit entfernt, aber ich erkenne kleinere Staubwirbel. ‚Dust-Devils‘, wie wir sie bei uns auf der Erde nennen. Doch diese hier sind anders. Sie wirken statisch, unabhängig von jeglichem Wind. Draußen herrscht nämlich zum ersten Mal vollkommene Windstille. Die Temperaturen sind nun rauf auf -2°C. Was geschieht da nur?“
„SOL 20: Die Wirbel – ich kann vierzehn oder fünfzehn zählen – sind deutlich näher gekommen! Ich schätze ihre Entfernung zur Station jetzt etwa auf 600 Meter. Sie verhalten sich wider alle physikalischen Gesetze. Durch das Fernglas wirken sie beinahe wie feste Körper. Beobachte. Der Funk schweigt. Nur Stille um mich herum.“
„SOL 21: Sie kommen näher. Nur noch 200 Meter entfernt. Kann jetzt Extremitäten erkennen. Jeweils acht rüsselartige Fortsätze. Arme aus Staub. Glaube, leise Schreie zu hören. Lausche. Beobachte. Warte.“
„SOL 22: Die Staubwesen bilden einen Halbkreis um die Station. Verharren als wabernde Schemen. Mal scheinen sie fest, dann wieder nur aus flüchtigem Sand und Staub zu bestehen. Die Schreie werden lauter. Sie kommen nun auch wieder über Funk. Selbst in der Nacht verstummen sie nicht. Ich verlasse meinen Posten am Fenster nicht mehr. Kann nur abwarten…“
„SOL 23? 24?: Es ist dunkel draußen, doch ich bin mir sicher, dass wir Tag haben. Sie sind jetzt direkt vor der Station. Ich kann das Schaben und Kreischen ihrer Krallen hören. Sie wollen herein. Ich höre Schreie. Und seltsame Stimmen. Ist das O’Toole? Er sagt, ich soll ihnen öffnen. Ich soll zu ihnen nach draußen kommen. – Ich verstopfe mir die Ohren, doch die Stimmen bleiben hartnäckig. Fordernd. – Ich mache Krach, schlage auf Möbel und Wände, schlage mich. Tue alles, um diese Stimmen nicht mehr hören zu müssen. Ich darf ihnen nicht gehorchen.“
„…Das Schleusensignal ertönt. Jemand oder etwas ist nach draußen gegangen. Oder in die Station gekommen. Ich wage es nicht, mich zu rühren…Lieder. Ich höre sie singen…seltsame Melodien…das Licht…es flackert…ich…“
ENDE
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