2011
Labormarathons für die Astrobiologie

Einmal ÖWF Forschung aus der Innenperspektive: Julia Heuritsch arbeitete zwei Wochen im Spacesuit laboratory des ÖWF gemeinsam mit Ulrich Luger an ihrer Bachelorarbeit. Interessiert wie eine junge Forscherin ihre ersten Schritte in der experimentellen Astrobiologie macht? – Dann lesen Sie Julias Impressionen …
Tag 0: Wien Westbahnhof; Wie alles begann
25. Juli 2011, um 17:14 fuhr mein Zug vom Westbahnhof Wien ab Richtung Innsbruck. Mag. Gernot Grömer hatte zufällig an diesem Tag einen Termin in Wien und so konnten er die gemeinsame Zugfahrt nutzen um mich auf meine Aufgaben vorzubereiten – er gab mir die wichtigsten Infos über das ÖWF, Aouda.X, die Rio-Tinto-Mission und im Folgenden u.a. über die Kontaminations-Experimente, besonders im Gedächtnis geblieben ist mir die Erläuterung der Verwendung der „Made-in-China“-Partikeln, der so genannten Mikrospherulen (Ich dachte noch „Micro was? Oh mein Gott, ich hoffe, ich muss mir den Namen nicht merken …“ )
Nach der Ankunft gegen 22:00 bekam ich noch meine Abendlektüre: 8 Papers über Aouda.X, Space Suits im Allgeimen, Rio-Tinto-Mission, Harvard-Zitierungsrichtlinien, etc..
Mein 1.Tag beim ÖWF begann damit, dass ich Dignity kennenlernte – den Rover. Dieses Gerät ist so ziemlich das, was als die Version eines ferngesteuerten Autos für Erwachsene zum Verkaufsschlager werden könnte; man kann ihn 2-dimensional in alle Richtungen steuern und seine Arme bestehen wie die eines Menschen aus 3 verschiedenen Gelenken plus „Hand“ mit der ich mich daran versuchte, „Marssteine“ (kleine Schaumstoffstückchen) aufzuheben.
Als mein Kollege Ulrich Luger –der übrigens auch gerade sein Praktikum für seine Bachelorarbeit im Forum machte- im Spacesuit Lab eintraf, begann der Ernst meines ÖWF-Lebens; Gernot, Uli und ich besprachen unsere Beschäftigung für die nächsten 2 Wochen; Uli und ich werden 2 der Experimente nachmachen, die Aufgrund des schlechten Wetters in Spanien Ende April nicht im Rahmen der Rio-Tinto-Mission durchgeführt werden konnte; das Übertrags-Experiment & den Drill. Nach einem ersten Brainstorming und dem Versuch, die Übertragsmaterialien festzulegen (aus welchen Materialien besteht Aouda.X und welche davon könnten mit Mars-Soil in Berührung kommen?) kamen wir auf Folgende Rechnung:
81 Übertrags-Kombinationen, Experiment-Wiederholungen führen letztlich zu 1284 Probenabnahmen!!! Das waren definitiv VIEL ZU VIELE! Bedauernd stellten wir fest, dass wir Materialien & Experiment-Wiederholungen drastisch reduzieren mussten, damit unser Vorhaben zeitlich realisierbar ist.
Gut, es war alles so weit besprochen, morgen kann’s los gehen. Aber von nach Hause gehen war noch keine Rede; es blieb noch ein wenig Zeit um mir eines (“Reducing biological contamination by a space suited astronaut: Laboratory and field test results from Aouda.X“) von den 8 Papers zu Gemüte zu führen … und ach ja, ich sollte auch noch in Erfahrung bringen, was es mit dem Student-Test auf sich hat … Den ganzen Mittwoch verbrachten Uli und ich mit einem kompletten Durchdenken des Übertragsexperiments.
Da es sich bei unserem Experiment um ein Kontaminations-Experiment handelte, mussten wir faktisch steril arbeiten; was bedeutete: jeder unüberlegter Handgriff, jedes an-der-Nase-Kratzen, jedes Flankerl-vom-Arm-Wischen, jedes Haar-hinters-Ohr-Klemmen oder sonstige Berührungen unserer Hände mit Objekten außer den Materialen, die wie für das Experiment brauchten – auch nur der Verdacht – , führte dazu, dass wie die Handschuhe wechseln mussten. Unser Verbrauch: 2 Packungen an 2 Tagen!
Tag 3 & 4 – Krisensitzung & Labormarathons
Ulis Miene beim Eintreffen im Lab verhieß nichts Gutes; Seine Prognose: Wir müssen abermals reduzieren, sonst würde ein Ende des Experiments in die unendliche Weite der Zukunft rücken. Also: Krisensitzung in der Früh mit Gernot um die unbewältigbare Dimension des Aufwands durch geschicktes Vorgehen in den Griff zu bekommen.
Ansonsten waren wir an diesem Tag besonders produktiv: bis auf die letzten 3 Durchgänge der Anflug-Methode führten wir alle 4 restlichen Experiment-Wiederholungen jeder Material-Kombination und jeder Übertrags-Methode durch.
Vormittags darauf erledigten wir schnurstracks ohne weitere Komplikationen auch die letzten 3 Experiment-Wiederholungen der Anflug-Methode. Das Ergebnis: 194 Abnahmen, die darauf warten, von uns ausgezählt zu werden (nicht vergessen, es sind 5 Felder pro Abnahme!) – Also machten wir uns auf den Weg zur Uni.
Es war das erste Mal, dass ich richtig mit einem Mikroskop gearbeitet habe. Ich blickte also durch das Okular und sah Sterne … dieses Feld kontaminiert mit JSC-1A und Mikrospherulen sah genauso aus, wie die Aufnahmen, die ich beim Observatoriumspraktikum auf der Sternwarte in Wien vom Teleskop geliefert bekam. Der „Dreck“ (JSC-1A) war kaum erkennbar; die fluoreszierenden MS jedoch strahlten wie Sterne – optisch sensationell, wunderschön aber das Auszählen war für mich der Horror; Wie zum Teufel soll ich mir merken, welche der ungefähr 400 MS pro Feld ich schon gezählt habe?
Auch unser Zählgerät half nicht, denn sobald ich den Knopf drückte, als ich eine MS sah, wusste ich schon nicht mehr, welche ich denn jetzt schon gezählt habe.
5.Tag – Mo; Der Knopf ist aufgegangen!
Am Montag in der Früh hatte ich es plötzlich heraußen – meine persönliche Mikrospherulen-Zählmethode! Ich fand eine Regel, nach der ich das Sichtfeld abarbeitete und ich zählte ab nun in Grüppchen anstatt jedes einzelne Mikrospherülchen. So konnte ich mich, während ich das zu letzt betrachtete Grüppchen von 2, 3 oder 4 MS im Zählgerät eintippte, schon dem nächsten Grüppchen zuwenden. Den ganzen Montag verbrachten Uli und ich also mit der MS-Auszählung, wir wechselten uns ab. Da ich nun eine Methode dafür gefunden hatte, begann mir die Sache richtig Spaß zu machen!
Kurz vorm Heimgehen berief Gernot noch eine Student-Test-Sitzung ein, besser gesagt, eine „Prüfung“ – er wollte, wissen, ob ich ihn richtig verstanden habe. Die habe ich bestanden, also konnte ja der Datenauswertung, die hoffentlich bald auf uns zu kommen wird, nichts mehr im Wege stehen.
7.Tag: knapp 70.000 Mikrospherulen, die auf ihre Auswertung warten
Am Ende des Vormittags hatten wir schlussendlich auch die letzte Mikrospherulen der insgesamt knapp 1000 Felder katalogisiert. Das Ergebnis: Ein Haufen Bezeichnungen mit noch mehr zu gehörigen Zahlen, die es jetzt einmal zu analysieren galt. Also fuhren Uli und ich zurück ins Lab, wo wir uns mit Gernot zusammensetzten und die Daten besprachen. Die „Aussage“ der Daten quasi … Und der Student-t-Test für die statistische Auswertung kam natürlich auch zur Anwendung.
Doch zuerst mussten wir überprüfen, ob die dafür vorgesehene Funktion in Excel auch wirklich vertrauenswürdig ist und rechneten anhand eines Beispiels eine kompletten t-Test nach. Was dabei herauskam? Okay, wir können Excel vertrauen, d.h. nun mussten wir nur noch einen sinnvollen und mathematisch korrekten Algorithmus finden, um unsere jeweils 5 Datensätze (5 Experiment-Wiederholungen) mit je 5 Daten (5 Felder) so miteinander zu koppeln, dass sich 2 Datenkolonnen ergaben …
Nach langen Diskussionen war ein Algorithmus war geboren! Also ließ ich Excel nach diesem Verfahren den Student-Test auf unsere Daten anwenden und finalisierte unser Daten-Sheet.
Am Abend also verließ ich Innsbruck; mit meinem Hirn vollgestopft mit mehr Wissen & Erfahrung, meinem Laptop zugespeichert mit allen notwendigen Daten für meine Bachelor-Arbeit „Statistical evaluation of contamination vectors during EVAs – Analysing the transfer of microspherules in the course of the Rio-Tinto-Mars-Analog mission“
und meinem Gepäck expandiert durch Graukäse & Kaspressknödel.
Acknowledgements
Ich möchte mich wirklich aufs Herzlichste bei Gernot & Olivia bedanken, dafür, dass sie mir die Möglichkeit eröffneten, das ÖWF kennen zu lernen, ein spannendes Projekt für meine Bachelorarbeit durchführen zu können, dass sie mich auf das Alumni-Wochenende der International Space University vorbereiteten und – last but not least – dass sie hervorragende Innsbruck-Guides waren, so dass ich von Innsbruck mehr kenne als das Aouda – Spacesuit Lab.
Außerdem gilt mein Dank Uli, mit dem es wirklich Spaß machte, im Team zu arbeiten. Es war großartig, wie er mich in das sterile Arbeiten einführte, wie wir uns gegenseitig mit Späßchen aufheiterten als etwas schief lief oder Eintönigkeit aufzukommen drohte. Und natürlich schätzte ich seine Geduld mit meinen zu anfangs unzulänglichen MS-Auszähl-Fähigkeiten, die mich motivierte eben diese zu verbessern.
Julia Heuritsch
Und hier noch die lange Version zum Nachlesen:
Praktikumsbericht Julia Heuritsch
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