2011
AUSTROMIR – Eine Trilogie-Rückblick 20 Jahre nach der Mission
Ouvertüre
Von zweiten bis zehnten Oktober neunzehnhunderteinundneunzig flog ein echter Österreicher acht Tage lang um die Erde. Ich war damals dreizehn Jahre alt und habe alles gesammelt, was mit dieser wunderbaren und merkwürdigen Mission in Verbindung zu bringen war: Zeitungsausschnitte, Bücher, Fotos, Modelle – zusammengetragen im Glauben, einem Ereignis von globaler historischer Tragweite beizuwohnen. Und für einen jungen Österreicher war es das wohl auch: ein Landsmann im Weltall. Ein rot-weiß-roter Wimpel auf der Raumstation. Mozartkugeln, schwerelos. Grüß Gott!
Heute schreibe ich, mittlerweile selber in der Raumfahrt tätig, über die Mission AUSTROMIR, die in diesen Tagen das zwanzigjährige Jubiläum feiert. Es ist – zugegebener Maßen – nicht die gleiche Feierlichkeit, die 40 Jahre Mondlandung bedeutet hatten, oder 50 Jahre Gagarin. Aber für den gelernten Patrioten zwischen Bodensee und Neusiedler See haben die Worte einen fast heimeligen Klang: Viehböck (welcher andere Name wäre des ersten Österreichers im All angemessen gewesen)! MIR! Sternenstädtchen!
Heute nehme ich das in die Jahre gekommene Buch „AUSTROMIR 91 – Der österreichische Schritt ins Raumfahrtzeitalter“, Edition Tau / Bad Sauerbrunn, in die Hand – und als ich es aufschlage, fallen mir zwei Autogrammkarten entgegen: Dipl.-Ing. Franz Viehböck, sagt die eine, und Dr. Clemens Lothaller, sagt die andere. Beide sind auf recyceltem Papier gedruckt, und wenn man sie umdreht, eröffnet sich einem die intime Welt des ersten und einzigen österreichischen Kosmonauten und seines Ersatzmannes: Viehböck sei ein Nachtmensch, lese ich, seine Lieblingsblume eine Rose und sein Lieblingsessen Schokoladepalatschinken! Lothaller sei ins Schottengymnasium gegangen, sei Bassist in einer Jazzband und esse am liebsten Kalbsgulasch („mit Nockerl“). Und dann, kleingedruckt: „Folgende Unternehmen haben bisher AUSTROMIR unterstützt: Anker Brot, Bundesländer-Versicherung, Hornig Kaffee, Steyr-Daimler-Puch…“ Es wird einem fast wehmütig ums Herz.
Es ist, irgendwie, auch eine andere Zeit, die aus den Buchdeckeln heraus fällt. In dieser Zeit gibt es noch die gewaltige Sowjetunion und im kleinen Österreich – diesseits des Eisernen Vorhangs, der sich knapp an Wien vorbei quer durch Europa zieht – den Schilling. Es sind die späten achtziger Jahre. Es gibt keine Smartphones, sondern schuhschachtel-große Mobiltelefonanlagen für die, die es sich leisten können. Das Fernsehprogramm endet um Mitternacht mit der Bundeshymne. Das World Wide Web wird gerade erst geboren.
Und über den Köpfen in Ost und West kreist die brandneue, hochmoderne Raumstation MIR.
Teil 1: Ministeriumsparkett, Langenlebarn, Sternenstädtchen – die Vorbereitung von AUSTROMIR
Im Juli 1987 absolviert der Vorsitzende des Ministerrates der UdSSR, Nikolai Iwanowitsch Ryschkow (ein ehemaliger Schweißer einer Fabrik im Ural), einen Staatsbesuch in Wien. Dieser Besuch ist die Keimzelle von AUSTROMIR, denn der hohe Gast schlägt die Möglichkeit eines österreichischen Raumflug-Teilnehmers vor. Dass Staatsbürger anderer Länder bei den Sowjets – der großen Raumfahrt-Macht – mitfliegen dürfen, ist nichts Neues, und das beschränkt sich nicht einmal mehr auf solche aus sozialistischen „Bruderstaaten“. Gespräche auf technischer Ebene in Moskau folgen kurz darauf. Am 5. April des Folgejahres 1988 kommt es in Wien zu einem denkwürdigen Ministerrats-Beschluss: Man nimmt die Einladung aus Moskau an.
Im Oktober 1988 – ziemlich genau drei Jahre vor dem Flug – unterzeichnen der österreichische Bundeskanzler Vranitzky und Ministerpräsident Ryschkow den „Staatsvertrag zwischen der Republik Österreich und der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken über die Durchführung eines gemeinsamen österreichisch-sowjetischen Raumfluges“ (man beachte die Reihung der Adjektive…). Damit ist der rechtliche Rahmen festgelegt, der nur wenige Wochen darauf in einem privatrechtlichen Vertrag detailliert wird. Dort ist zu lesen, was wie die Beschreibung eines Abenteuers in einem sehr spezialisierten Urlaubskatalog klingt: Pauschalreise für 85 Millionen Schilling! Inkludiert sind die Ausbildung zweier österreichischer Kosmonauten, achttägiger Flug eines der beiden in den Weltraum, dazu 14 wissenschaftliche Experimente (gemeinsam ausgewählt) und zusammen nicht schwerer als 150kg (!), Transport derselben zur Raumstation MIR, Rücktransport der Ergebnisse mit einem Gesamtgewicht von nicht mehr als 5kg (exklusive Kosmonauten…). Ein unmoralisches Angebot? Mitnichten: das günstigste Pauschalticket, das zu lösen war. Japan, England und Deutschland bezahlen für ihre Kosmonauten Akiyama, Sharman und Flade mehr als eineinhalb Mal so viel.
Die Forschungsgesellschaft Joanneum wird auf nationaler Ebene mit dem Projekt-Management beauftragt. Nun fehlen nur noch zwei Kosmonauten.
Um Kandidaten zu finden, die österreichische Helden werden können und nebenbei ihr Leben als Raumfahrer neu definieren wollen, startet man Aufrufe in Radio und Zeitungen. Rund 110 Kandidaten kommen in die erste Auswahl, und Kosmonaut Viehböck erinnert sich an die erste bewegende Reaktion auf seine aus Spaß und Neugierde abgeschickte Bewerbung: „Der ORF rief bei mir an – ich gab das erste Radio-Interview meines Lebens.“ Da ist er also eine Berühmtheit für ein paar Minuten im Äther geworden, während Gorbatschow in der Sowjetunion die Perestroika beginnt und Celine Dion den Eurovision Song Contest gewinnt („Ne partez pas sans moi“; Fahrt nicht ohne mich – das perfekte Motto der in Fahrt kommenden österreichischen Kosmonauten-Auswahl).
Die ersten Untersuchungen beginnen, und jeder, der glaubt es bis zum Kosmonauten an der Spitze einer Sojus-Rakete zu schaffen, darf diese Untersuchungen erst einmal selbst bezahlen. Fliegerarzt Joachim Huber und Flug-Psychologe Walter Bein übernehmen die Leitung der medizinischen Auswahl. Ende Jänner 1989 ist die Gruppe auf 70 Kandidaten geschrumpft. Die Kriterien werden härter, die medizinischen Belastungen auch, und Mitleid oder Sanftmut sind nicht zu erwarten. Die Auswahl – Herz-Kreislauf-Tests, senso-motorische Tests und Psycho-Tests – verlangen den „Österreichern, Maximalalter 40, mit naturwissenschaftlicher Ausbildung“ alles ab. Aber sogar Gehaltsvorstellungen für die Rolle des ersten Österreichers im All werden bereits ganz zu Beginn erfragt!
Nach dem dritten Schritt, Interviews mit Aufzeichnung psychophysiologischer Messwerte vorher, währenddessen und danach, einigt man sich auf 30 Personen, die nun schon stolz auf das Erreichte sein dürfen. Es ist Februar 1989. Die Sowjetunion zieht aus Afghanistan ab. Der erste GPS-Satellit wird in den Weltraum gebracht. Und im Ausbildungszentrum Wiener Neustadt geht es jetzt wirklich zur Sache: Fallschirmspringen, Gewaltmarsch, „militärische Realflugbelastungen“. Dabei erfahren die Kandidaten erstmals, was es heißt, mit 5g auf dem Brustkorb in einen Sitz gepresst zu werden, und welche Gefühle bei Drehstuhlbelastungen mit einer Beschleunigung von 180 Grad pro Sekunde aufkommen – Kopf nach unten und Augenbewegungen in einem strengen Muster inklusive.
Es folgen ein fünfter, sechster und siebenter Auswahlschritt, unter anderem mit den medizinischen Hauptuntersuchungen und einem 54-stündigen Schlafentzug. 13 Personen haben bisher noch durchgehalten und den Anforderungen entsprochen, doch nun, im achten Selektionsschritt, wird ihre Zahl gemeinsam mit Experten der sojwtischen Raumfahrt auf sieben halbiert. Sie heißen: Mag. Peter Friedrich, Dipl.-Ing. Elke Griedl, Obst.Ltnt. Robert Haas, Mag. Manfred Jeitler, Dr. Clemens Lothaller, Dipl.-Ing. Franz Viehböck und Mag. Gertrud Waich. Für diese kleine, erlesene (oder sollte man besser sagen: verlesene) Gruppe beginnt nun ein beinhartes Fitnesstraining. Und dann – geht es nach Moskau. Es ist der 15. September 1989,als die AUA-Maschine von Wien-Schwechat abhebt. Mit an Bord ist der erste Österreichischer im All – doch noch weiß niemand, wer es ist.
Die Ernüchterung in Moskau folgt auf den Fuß. Die sowjetische Ärzteschaft möchte sich ihr eigenes Bild über die Gruppe „Gastarbeiter“ machen und tut dies gründlich und wenig zimperlich. Franz Viehböck: „An jedem gab es irgendetwas auszusetzen… Doch mit der Zeit gewöhnten wir uns an die griesgrämige, leicht depressive Stimmung.“ Und kaum erholen sich die etwas Verschreckten vom Kulturschock, geht es richtig zur Sache. Fallschirmspringen am Fliegerhorst Brumowski (ein Fliegerass des Ersten Weltkriegs) im beschaulichen Niederösterreich? Das ist Erinnerung. Gegenwart ist: die Unterdruckkammer, Sturzflugsimulation aus 5000m Höhe; und dann: 8g in der größten Zentrifuge der Welt, 18 Meter lang, 200 Tonnen schwer, von siebentausend Watt angetrieben. Furchteinflößend! Doch das Ding steht inmitten eines bröckelnden Staates. Wieder Viehböck: „Ich wurde schon beim Betreten des Raumes, in dem es sich befindet, von der russischen Realität eingeholt. Ich öffnete die Türe und … hatte die Türschnalle in der Hand.“
Von der Realität werden kurz darauf auch fünf der tapferen sieben Österreicher eingeholt, praktisch am letzten Meter vor der Ziellinie. Samstag, 6. Oktober 1990: Es ist soweit. Vor drei Tagen wurde Deutschland wiedervereinigt. Und die im Vertrag festgelegten „zwei Kosmonauten“ aus der Alpenrepublik zur Ausbildung im fernen Osten werden nun von der österreichischen Kommission bekannt gegeben: Franz Viehböck und Clemens Lothaller. Die anderen fünf: Dankeschön, Sie waren alle ausgezeichnet.
Mit Sekt bzw. Wodka durch die Nacht gefeiert, finden sich die zwei, die nun wirklich und tatsächlich übrig geblieben sind, bald darauf in Wien wieder, um dort zu „Sonder-Vertragsbediensteten des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung“ bis 1993 zu werden, monatliches Bruttogehalt: 95.000 Schilling, inklusive im Ausland anfallender Kosten. Es folgt die Euphorie der plötzlichen Berühmtheit: Kameras und Mikrophone, quasi auf Schritt und Tritt, Sponsorenverträge, teure Hotels von Graz bis Innsbruck. Es wird Weihnachten 1990. Und dann trifft sie, etwas unvorbereitet, „der kalte Atem Moskaus“ (C. Lothaller). Abschied aus Österreich im Winter – ein neues Leben im Sternenstädtchen beginnt für zwei, die noch vor kurzem diesen mythischen Ort im russischen Reich gar nicht kannten.
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