2012
Probelauf für die Feldsimulation in Marokko
Die Generalprobe für die MARS2013-Mission fand von Freitag, 07. bis Montag, 10. Dezember 2012 im Mission Support Center in Innsbruck statt.
Tag 1: Das Rot-Kreuz-Gebäude am Sillufer ist uns vertraut, die vielen neuen Gesichter beim Check-in nicht. Ob die ahnen, was sie erwartet? „When we settle on Mars we will be from more than one nation”, sprach einst Carl Sagan. Könnte stimmen, denn allein für diesen viertägigen Probelauf unserer Mars-Feldsimulation sind etwa 70 Leute aus 20 Ländern und allen Kontinenten in Innsbruck angereist.
Alexander Soucek, Flight Director, spricht einige Worte zum Sinn und Zweck dieser Generalprobe. Dabei wird klar: Es gibt viel zu tun und Kooperationsbereitschaft, breites Interesse an den Aufgabengebieten der Kollegen sowie Pünktlichkeit sind unbedingte Teilnahme-Voraussetzungen. Das PolAres-Programm und die „MARS2013“ Teams werden vorgestellt – man hört und staunt: Geologen, Physiker, Rechtsgelehrte, Piloten, Vulkanologen, Astronomen, Techniker, ehemalige Soldaten und Kriminalbeamte, Psychologen, Architekten, Mediziner, Medienfachleute, ESA- und NASA-Projektmitarbeiter – eine ziemlich bunte Mischung hat sich da versammelt.
Alain Souchier stellt sein Experiment für MARS2013 vor. (c) OEWF (Katja Zanella-Kux)
Den ganzen Vormittag arbeiten wir uns gemeinsam durch den Missionsplan für Februar, am Nachmittag setzen sich erstmals die Teams zusammen. Die wenigsten Leute kennen sich schon persönlich, Englisch in unterschiedlichsten Akzenten hallt durch die Gänge. Auf einen Mars Crash-Kurs für alle („a planet drier than a Linzer cake“) folgen die detaillierten Beschreibungen der 14 Experimente, die in Marokko geplant sind – und eine ausführliche Logistik-Einheit.
ÖWF-Vorstand Gernot Grömer beschäftigt sich seit Monaten damit und hat bereits einige Anekdoten darüber auf Lager, was es bedeutet, einen Schiffscontainer mit hochspezialisiertem technischen Equipment in ein Nicht-EU-Land zu verbringen – Exportbestimmungen, Zollgesetze und Versicherungen sind ein Abenteuer für sich. Zum Glück müssen wir uns nicht darum kümmern, wie man eine Satellitenschüssel über das Atlas-Gebirge transportiert. Die Karawane aus Mensch und Material von Marrakesch Richtung Wüste wird sicher auch noch eine spannende Geschichte.
Das Abendessen (landestypisches Buffet und Kürbissuppe inklusive einer Spritze Kernöl als kleine Aufmerksamkeit vom Rot-Kreuz-Küchenchef) findet im Vortragssaal statt, wir wollen ja keine Zeit verlieren. Eigentlich fallen wir schon von den Sesseln, aber die „Standard Operating Procedures“ müssen sich auch noch ausgehen: Was bedeutet „Code Red“, warum sind Zeitverzögerungen in der Kommunikation nicht nur gewünscht sondern fix eingeplant? Auch die „Pool Parties“ sind hier anders als erwartet, nämlich abendliche Abschlussbesprechungen, d.h. wir schwimmen in internationalen Gewässern mit multikultureller Gesellschaft. Feierlicher Abschluss vor dem Knock-Out ist die Über-reichung der Abschluss-Zertifikate an unsere sechs Analog-Astronauten. Congratulations!
Demokratische Verhandlungen zur Festlegung interner Abläufe. (c) OEWF (Katja Zanella-Kux)
Tag 2 und 3: Jeder Arbeitstag hat 14 Stunden, die Beamer laufen heiß, die Gespräche werden konkreter. Kaffee aus dunkelroten Bechern (sogar die zeigen sich farblich solidarisch mit unseren ÖWF-Polos) und Sandwiches sind unser täglich Brot. Und Marokko natürlich: Wir bekommen eine Einführung in Land und Leute, werden über medizinische Sicherheitsmaßnahmen, kulturelle Gepflogenheiten und empfohlene Impfungen informiert – mit gefühlten zehn Folien pro Minute. Draußen tobt der Schneesturm und verwandelt Innsbruck in ein Winterwunderland. Drinnen reisen wir für den ersten Probelauf der Mission zu anderen Welten: Der erste Stock ist als „Erde“ definiert, das Erdgeschoss als „Mars“ – betreten für Unbefugte verboten.
Anschließend gibt es einiges zu klären. Die Diskussionen um ideale Kommunikationswege, Bandbreiten für den Datentransfer und die optimale Konstruktion des „Flightplans“ (der alle Aktivitäten für Marokko enthält) sind tendenziell heißer als der Automaten-Tee. Eine Entscheidung muss her, nach dem Modell einer UN-Sitzung: Zuerst wird verhandelt, dann abgestimmt. Und siehe da, schon ein paar Stunden intensiven Faktenknetens später gedeiht nicht nur der Schmäh sondern auch der Konsens wie ein extragroßes Weihnachtskeks. Vielleicht nicht an allen Ecken perfekt, aber selbstgemacht und allen schmeckt‘s.
Zwischendurch gibt’s auch richtigen Lebkuchen, wegen der Kalorien braucht sich aber keiner zu sorgen. Wir joggen tagein, tagaus von einem Gebäude zum anderen, vom Erdgeschoss ins Dachgeschoss und wieder zurück. Spätabends suchen wir dann im Hotellift mit schlaftrunkener Gewissheit, jedoch vergeblich, den Druckknopf für den sechsten Stock – hier gibt‘s nämlich nur fünf.
Tag 4: Heute werden die Aktivitäten im Mission Support Center bzw. „im Feld“ ein zweites Mal geübt – zur Ablaufoptimierung. Die Simulation soll so real wie möglich sein oder wie es unser Expeditionsleiter sagt: “We are not on Mars physically, but we are not on earth mentally either.” Als Grundbedingungen für Februar werden festgelegt: Eine große Portion Teamgeist, das nötige Maß an Disziplin, viel Toleranz gegenüber den Tücken der Technik, gesunder Humor und geringes Schlafbedürfnis. Merke: „Black Days“ heben die Moral der Crew, jederzeit das „Traffic Light“ beachten, die „Yellow Box“ ist kein Postkastl und ziehe NIEMALS an den blauen Kabeln!
Spätestens gegen Mittag, als das Mission Support Center (MSC) zum Abschied noch mit einem Glas Sekt eingeweiht wird, ist klar, dass wir uns alle mit etwas ziemlich Ansteckendem infiziert haben. Die ersten Symptome wirkten noch harmlos – eine Freistellung hier, ein unplanmäßiger Urlaubsantrag da. Und dann ging alles so schnell. Was treibt Leute aus allen Ecken der Welt dazu, sich auf rutschigen Autobahnen bei Whiteout-Gefahr durch Schneestürme und halb Europa zu kämpfen oder sechs Stunden in einem Flugzeug auszuharren, um die kurze Strecke von Brüssel nach Innsbruck zurückzulegen und dann womöglich noch in einem Schlafsack am Boden des MSC zu übernachten?
Gruppenfoto der Teilnehmer am Dress Rehearsal (c) OEWF (Katja Zanella-Kux)
Schwer zu sagen, wann es voll ausgebrochen ist – bei der Weltumrundung des Magellan am Samstag oder auf der Payer-Weyprecht-Expedition am Sonntag. Die einen merken, dass es ihnen schwer fällt, nach vier Tagen Englisch die muttersprachlichen Entsprechungen in den hintersten Winkeln ihres Gedächtnisses wieder zu aktivieren. Andere spüren sentimentale Gefühlsregungen, die sonst eher bei Familienfeiern angebracht wären. Und alle eint das Empfinden einer unbedingte Verpflichtung, sich im Februar sowohl dem Tiroler Winter und auch dem Kommando eines Flight Directors und damit nahezu militärisch-rigorosen Tagesplänen zu unterwerfen. Die Diagnose ist eindeutig: Wir haben uns alle das ÖWF-Missions-Virus eingefangen. Langjährige Mitgliedschaft garantiert übrigens keine Immunität – eher im Gegenteil.
Es ist also wieder einmal soweit – aus einem losen Haufen Fremder mit Interesse an Weltraum und Analogforschung ist ein professionelles Team geworden. Unser Expeditions-Schiff ist aus bestem Holz, gewachsen in vielen Ländern, der Stapellauf ist gelungen und unsere Kapitäne werden uns mit Kompetenz, Weisheit und Humor durch das Abenteuer „MARS2013“ navigieren und ihr Bestes geben, um alle nicht kartographierten Klippen sicher zu umschiffen. Wir sind unterwegs!
- Tagged:Dress Rehearsal, Innsbruck, Marokko, Mars2013
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