2015
Wasser auf dem Mars: Ein Interview mit Dr. Anna Losiak
Wasser auf dem Mars: Ein Interview mit Dr. Anna Losiak
Dr. Anna Losiak vom Institut der Geowissenschaften der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Breslau veröffentlichte gemeinsam mit zwei Kollegen eine Arbeit über kurzzeitig flüssiges Wasser an der Oberfläche der Nordpolkappe des Mars.
Die Entstehung von beträchtlichen, jungen Gipsablagerungen innerhalb der Olympia Planum Region um die Nordpolkappe ist seit ihrer Entdeckung ein ungelöstes Rätsel gewesen. Die Veröffentlichung zeigt, dass Gips durch das Sedimentieren von Wasser gebildet worden sein könnte, das sich unter einer dünnen auf dem Eis liegenden Staubschicht bildet, die durch Sonneneinstrahlung erwärmt wird.
ÖWF: Die NASA hat kürzlich Anzeichen dafür bestätigt, dass flüssiges Wasser in Form von Salzlake-Bächen heute auf dem Mars fließt. Sie haben eine wissenschaftliche Arbeit im August 2015 veröffentlicht, vor der Bekanntgabe der NASA.
Beide Gruppen haben vor einigen Jahren damit begonnen, an diesem Thema zu arbeiten, da wissenschaftliche Forschung viel Zeit benötigt. Seit ihrer Entdeckung im Jahr 2011 war die wahrscheinlichste Erklärung für die Bildung solcher „Reccuring Slope Lineae“ (RSL)-Formationen, dass sie von flüssigem Oberflächenwasser gebildet wurden. Trotz der Versuche vieler Gruppen konnte allerdings niemand bestätigen, dass diese wahrscheinlichste Erklärung, die richtige ist. Daher ist die Veröffentlichung der NASA so cool, weil sie sicher zeigt, dass es derzeit flüssiges Wasser auf dem Mars gibt.
ÖWF: Kann ich sagen dass die Bestätigung der NASA auch eine Validierung Ihres numerischen Modells ist?
Nicht unbedingt, nein. Die RSLs und die Merkmale, die ich untersuche, liegen in sehr verschiedenen Gebieten des Mars. RSLs befinden sich größtenteils in den mittleren Breitengraden und innerhalb der Felsschluchten des Valles Marineris. Unsere Veröffentlichung hingegen ist wesentlich für Prozesse, die auf dem Gletschereis an der Nordpolkappe des Mars und vielleicht auch an den südlichen Polkappen stattfinden.
Auch die Prozesse der flüssigen Wasserbildung in jenen zwei Fällen scheinen sehr verschieden zu sein. Wir wissen noch nicht, wie genau RSLs gebildet werden aber die wahrscheinlichste Erklärung ist derzeit, dass einige der Salze im Boden hygroskopisch sind, was bedeutet, dass sie die Feuchtigkeit aus der Luft saugen. Sobald sie genug Wasser bekommen, also eine Salzlauge bilden, kann die komplette Oberfläche anfangen zu fließen und somit die Furchen, die „Reccuring Slope Lineae“ bilden.
Unsere Veröffentlichung zeigt wiederum, dass die Sonne Staubkörner an der Oberfläche des Gletschereises erwärmen und das Eis somit zum Schmelzen bringen kann.
ÖWF: Bitte erklären Sie uns die Hauptbedingungen an der Oberfläche der Nordpolkappe des Mars, welche die Basis für Ihre Kalkulation bilden.
Erstens geschieht dieser Prozess nicht jeden Tag – die meiste Zeit bleiben die Polkappen des Mars tiefgefroren. Jedoch kann die Sonneneinstrahlung während der wärmsten Tage des Sommers ausreichend sein, um dunkle Schichten von Staubpartikeln ausreichend zu erhitzen, sodass das darunterliegende reine Wassereis zu schmelzen beginnt. Zweitens kann dieser Prozess nur auf der dem Äquator zugewandten Hangseite der Mars Nordpolkappe innerhalb der tief eingeschnittenen Tröge stattfinden, wo staubiges Gletschereis freigelegt wird. Und schließlich muss der Staub ziemlich dunkel und dicht gepackt sein, um sich genug aufheizen zu können. Das Schmelzen kommt jedoch über einen breiten Wertbereich vor und zeigt, dass dieses Phänomen (obgleich lokal) relativ üblich ist.
Einmal durch das Schmelzen gebildet, kann flüssiges Wasser für eine Zeitdauer bestehen, die potenziell genügt, um Staubkörner teilweise aufzulösen und andere Minerale wie Gips zu bilden. Dies ist vergleichbar mit der Situation innerhalb von antarktischem Meteorgestein. Flüssiges Wasser kann an der Nordpolkappe metastabil sein, weil der Druck während der Sommerzeit circa bei 760-650 Pascal liegt, also über dem Tripelpunkt von Wasser. (In der Thermodynamik ist der Tripelpunkt (auch Dreiphasenpunkt) der Zustand, beschrieben durch Druck und Temperatur, an dem drei Aggregatzustände eines Stoffes im thermodynamischen Gleichgewicht sind.)
ÖWF: Was sind die Ergebnisse Ihres Modells?
Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Schmelzen von Wasser unter Schichten von dunklen Staubkörnern genügend Wasser für die Bildung von Evaporiten (chem. Sedimentgestein wie z. B. Gips) zur Verfügung stellen könnte. Ein ähnlicher Prozess wurde bei basaltischem Meteorgestein auf der Oberfläche der antarktischen Eiskappe beobachtet. Staubkörner werden auf der Oberfläche der Mars Nordpolkappe durch äolische Prozesse abgelegt (besonders bei Staubstürmen). Wenn die abgelegte Staubschicht schnell durch frischen Schnee bedeckt wird, kann aus Studien von Staubbändern im antarktischen Eis abgeleitet werden, dass die Staubverwitterung eingeschränkt wird. Infolgedessen bilden sich die staubreichen Schichten innerhalb des Eises – häufig sichtbar als Bänder auf Orbitalaufnahmen. Staubiges Eis wird am Äquator zugewandten Hang der spiralförmigen Tröge der Nordpolkappe durch Fallwinderosion freigelegt. Unsere Studie zeigt, dass auf dem steilsten Hang der spiralförmigen Tröge eine Schicht von dunklen Staubkörnern durch Sonneneinstrahlung aufgeheizt wird und das Eis darunter schmilzt. Etwas von diesem Wasser verdampft wegen des niedrigen atmosphärischen Drucks oder wird, so lange die Temperatur des Staubs über dem Schmelzpunkt von Wasser liegt, unter der Schicht von Staubpartikeln bzw. im Eis bewahrt. Dieses Wasser reagiert mit dem Staubkorn, löst am Korn haftende Minerale und bildet sekundäre Mineralien einschließlich Sedimentgestein wie Gips, die wieder dem verwitterten Staubkorn anhaften.
ÖWF: Was meinen Sie, welche Konsequenzen Ihre gewonnenen Ergebnisse und die Bestätigung der NASA für die Marsforschung haben werden?
Ich denke, dass die Entdeckung von flüssigem Wasser auf dem Mars viel Aufmerksamkeit bekommen hat und die Politiker dazu ermuntern kann, mehr Geld für die planetare Wissenschaft auszugeben. Vom wissenschaftlichen Standpunkt zeigt die Entdeckung von flüssigem Wasser auf dem Mars, dass wenn es jemals Leben auf dem Mars gegeben hat, es noch immer dort sein kann. Derzeit kennen wir mindestens zwei gute Plätze, um nach zurzeit lebenden Marsorganismen zu suchen.
Wenn ich ein Marsorganismus wäre und zwischen diesen zwei Standorten wählen könnte, würde ich es vorziehen, an der Nordpolkappe zu leben. Das Wasser dort ist weniger salzig und warme Bedingungen wiederholen sich regelmäßig. Wahrscheinlich gibt es jeden Sommer mindestens einen Tag, an dem flüssiges Wasser existiert. Ein Tag jedes Jahr scheint nicht viel zu sein aber Blumen in Wüsten auf der Erde müssen manchmal Jahrzehnte oder Jahrhunderte warten, bevor sie nach einem selten vorkommenden Regen blühen können. Es ist möglich, dass auch auf der Nordpolkappe des Mars etwas Ähnliches stattfindet.
ÖWF: Würden Sie gern zum Mars fliegen und die geologischen Gegebenheiten erforschen?
Natürlich. Dies ist das Ziel von fast allen Planetenforschern! Allerdings hoffe ich wirklich, dass ich nicht zu alt bin bevor es eine Auswahl von Astronauten für einen Marsflug gibt.
Erforschung mit Robotern ist sehr nützlich und viel preiswerter als menschliche Missionen. Jedoch ist das Problem beim Einsatz von Robotern, dass wir nie sicher sein können, dass durch einen Rover gefundene einem Organismus ähnliche Eigenschaften wirklich Leben oder eher ein Ausrüstungsfehler oder etwa eine unerwartete abiotische Reaktion sind. Also, der einzige Weg wirklich zu beweisen, dass es Leben auf Mars gibt, ist, entweder einige Proben zur Erde oder Wissenschaftler und Laboratorien zum Roten Planeten zu bringen. Daher brauchen wir Menschen auf dem Mars!
ÖWF: Vielen Dank für Ihre Zeit.
Das Interview führte Marlen Raab, ÖWF Redaktion
Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Englisch
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