2016
Im vierten Teil des Interviews sprechen wir mit Dr. Norbert Frischauf, dem Kommandanten der AustroMars Mission. Er waren im April 2006 zusammen mit weiteren Crewmitgliedern, die in den ersten drei Teilen dieses Rückblicks schon zu Wort gekommen sind, in der Mars Desert Research Station (MDRS) in Utah und simulierte dort 2 Wochen lang eine zukünftige Marsexpedition.
ÖWF: Norbert, du hast bei der ESA das Aurora Programm, eine Initiative zur bemannten Erforschung des Sonnensystems, unterstützt und an der Entwicklung einer 30-jährigen Langzeitforschungsstrategie mitgearbeitet, um dieses Ziel zu erreichen. Welche Erkenntnisse aus diesem Programm konntest du bei der AustroMars Mission umsetzen?
Dr. Norbert Frischauf: Eine der großen Herausforderungen einer jeden Langzeitmission ist der Zusammenhalt der Crew. Viele Studien wurden durchgeführt, um herauszufinden wie die perfekte Crew für eine 2,5-Jahre Mission zum Mars aussieht. Was sich im Laufe der Jahre herauskristallisiert hat, war, dass es eine gemischte Crew mit zumindest 6 Mitgliedern sein sollte. Mit dabei: ein Kommandant und sein 1. Offizier – beide sind auch Piloten. Ein Flugingenieur, der ebenfalls Flugkenntnisse haben sollte. Ein Mediziner, der auch als Wissenschaftler fungiert und zumindest zwei Wissenschaftler mit Zusatzausbildung als Ingenieure und Mediziner. Das klingt nach einer militärischen Struktur und zum Teil ist sie das auch – aber nur dann wenn es um die Sicherheit geht – sonst geht es weitestgehend demokratisch zu. Im Gegensatz zu unseren NASA-Kollegen waren wir bei der ESA immer der Meinung, dass man eine Crew nicht 2,5 Jahre militärisch-autokratisch führen kann und ihnen jeden Tag genau vorgeben kann, was sie zu tun haben. Die Leute würden innerhalb kürzester Zeit ausbrennen, Streitereien wären die Folge, bis hin zum Zerfall der Gruppe. Aufbauend auf dieser europäischen Sichtweise, habe ich bei AustroMars als Kommandant den demokratischen Führungsstil gewählt – die Mission war also so etwas wie die Probe aufs Exempel, auch wenn 14 Tage nicht unbedingt eine Langzeitmission sind. Mein Ziel war also die Leute weitestgehend durch Motivation zu führen und den Gruppenzusammenhalt durch Vision, Freundschaft und soziale Bindung sicherzustellen – Alexander, der 1. Offizier, war mir da eine sehr große Hilfe. Wir beide haben die Crew also auf freundschaftliche Weise geführt und uns bewusst zurückgenommen, getreu dem Motto: „Nur wenn die Sicherheit gefährdet ist, greifst du als Kommandant ein.“ Ich wollte ganz bewusst nicht als strenger Kommandant auftreten, der jeden Tag Befehle ausgibt und ich denke, nach ein paar Tagen der Eingewöhnung konnte man auch sehen, dass dieser Stil auf Dauer besser funktioniert.
Neben dem Gruppenzusammenhalt ist auch das Wir-und-Sie-Phänomen eine große Herausforderung. Der Mars ist viele Mio. km von der Erde entfernt, ein Funksignal kann bis zu 20 Minuten brauchen. Schon alleine durch diese verzögerte Kommunikation kann es zu Schwierigkeiten zwischen der Crew am Mars und einem Missionskontrollzentrum (MCC) kommen. Denn die Leute vor Ort werden sicher öfter das Gefühl haben, die (auf der Erde) verstehen uns nicht, die sind nicht hier. Genauso ein Szenario („Mini-Revolte“) haben Willi, der Flugdirektor des MCC in Salzburg, und ich uns vorab überlegt und ausprobiert. Eingeweiht waren nur Willi, Alexander (First Officer) und ich. Die Gruppendynamik bei der Nichtbeachtung von Anweisungen aus dem MCC zu beobachten, war sehr interessant. Wiewohl ich zugeben muss, dass mir manches Mal nicht ganz klar war, ob wir hier noch immer das Wir-und-Sie-Phänomen simulieren oder das ganze schon purer Ernst ist… ;-)
ÖWF: Was hat dich während der Mission besonders beschäftigt?
Sisi, unser siebentes Crewmitglied. Den Rover „Sisi“, habe ich damals mit dem TGM (einer HTL in Wien) gebaut. Nach der Fertigstellung des Projektes haben wir ihn der Mars Society vorgestellt und die waren so begeistert, dass sie uns nach Utah eingeladen haben. Aus dieser Einladung entstand dann überhaupt erst die Idee zur AustroMars Mission.
Leider hat „Sisi“ nach der Ankunft in Utah nicht funktioniert. Ich bin zwar Elektroniker und kann Schaltkreise u.dgl. reparieren, jedoch ist es mit grobschlächtigem Werkzeug (Stichwort: Lötkolben mit einer 3 cm großen Lötspitze, so wie er in der MDRS verfügbar war!) und ohne Schaltpläne ungleich schwieriger. Eine Woche hat es gedauert den Rover zum Laufen zu bringen. Und das er lief, war wichtig. Denn hinter dem Rover standen mehr als 20 Leute (Schüler, Studenten, Professoren und Freiwillige), die mehr als 1,5 Jahre daran gebaut haben. Somit ist viel meiner Zeit in der Vorbereitungswoche in die Reparatur von „Sisi“ geflossen. Das MCC und eine Horde von ehrenamtlichen Unterstützern haben mir in unzähligen Skype-Sessions geholfen, die Fehler zu finden und sie zu reparieren – bei 9 Std. Zeitverschiebung zw. Utah, Salzburg bzw. Wien war das nicht immer einfach. Letztlich ist der Rover erfolgreich gelaufen. Das war ein sehr großer und vor allem auch emotionaler Erfolg, denn ohne „Sisi“ wäre es ja gar nicht zur AustroMars Mission gekommen.
Während der Mission war es dann das Verfassen der Vielzahl an Reports, das uns in Atem gehalten hat. Von 19:00 – 23:00 (manches Mal auch länger) mussten wir wissenschaftliche Berichte, einen medizinischen und einen technischen Report schreiben und auch der 1. Offizier und der Kommandant hatten einen gesonderten Bericht zu verfassen. Alle mussten gegengelesen werden – viel Schlaf haben wir alle – auch die Kollegen im MCC – während der Mission nicht bekommen.
ÖWF: Wart ihr wirklich „am Mars“ – hat es sich so angefühlt?
Dazu gibt es eine lustige Begebenheit. Am Ende der Mission war die „Landung“ auf der Erde geplant. Über Nacht wurde unser Habitat zum „Raumschiff“ und brachte uns nach Hause. Die Landung auf der Erde erfolgte um 6:00 in der Frühe noch vor Sonnenaufgang. Der Wecker läutet also, wir sechs A(u)stronauten stehen auf, ziehen uns die Fluganzüge an und stehen zu guter Letzt zu sechst in der Luftschleuse – ganz ohne Raumanzug, denn da draußen war ja jetzt nicht mehr der Mars, sondern die Erde. Rational war uns das zwar allen bewusst, doch emotional waren wir noch immer nicht auf der Erde angekommen. Wieso ich das weiß? Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich zur äußeren Tür der Luftschleuse gehe und den Drehgriff – so eine Art Drehgriff wie bei einem Tresor – in die Hand nehme, um die Tür zu öffnen. Ich drehe mich zu meinen Kollegen um, schaue die fünf an und alle schauen mit großen Augen auf meine Hand am Drehgriff. Ich beginne den Griff zu drehen und auf einmal halten alle die Luft an, während ich die Tür unseres „Raumschiffs“ öffne – ich übrigens auch. Es war total skurril und dann auch wieder total logisch – die 14 Tage, die wir „auf dem Mars waren“ hatten sich in unser aller Verhalten eingebrannt: Das ist eine Luftschleuse, da draußen ist der Mars. Er hat eine giftige CO2 Atmosphäre bei gerade mal 10 mbar Luftdruck und -80°C – ohne Raumanzug kannst Du nicht überleben! Und da stehen wir in der Luftschleuse OHNE Raumanzug und was machen wir? Wir halten alle die Luft an – was natürlich gar nichts gebracht hätte, hätte ich tatsächlich am Mars die Tür des Habitats geöffnet. Jeder Psychologe hätte wohl an diesem Morgen seine helle Freude an uns gehabt!
Dann tritt man nach draußen, geht ein paar Schritte und hört auf einmal wieder, wie der Sand unter den Füßen knirscht. Wenn man den Kopf nach links dreht, sieht man auch was sich links befindet. Im Raumanzug ist man in seiner eigenen Welt, wenn man darin den Kopf nach links dreht, schaut man in die linke Helmseite. Jetzt auf einmal hört man alles, man riecht wieder und fühlt wieder die Welt.
Auch wenn es nur 14 Tage „auf dem Mars“ waren, so war es doch überwältigend, wieder auf der Erde „zu landen“.
ÖWF: Hat diese Mission dein Leben nachhaltig verändert?
Direkt hat sich sicher nichts geändert. Doch die Erfahrung ist schon phänomenal; eine solche Mission ehrenamtlich gestemmt zu bekommen und einen kleinen Blick in die Zukunft erhaschen zu können. Beruflich ist es natürlich auch etwas anderes, diese Erfahrungen aus erster Hand weitergeben zu können. Man kann am Computer viel simulieren, doch am Ende muss man es ausprobieren, denn nur dann stößt man auf die echten Probleme. Eine Langzeitmission zum Mond und zum Mars wird mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert sein, die dann in kürzester Zeit gelöst werden müssen, damit die Crew nicht gefährdet wird. Die Analogwissenschaft ist fundamental wichtig, um sich auf diese Missionen vorzubereiten, das hat AustroMars auf eindrucksvolle Weise gezeigt.
Ein schönes Schlusswort, Norbert. Vielen Dank für deine Zeit und die ausführlichen Antworten!
Das Interview führte Marlen Raab, ÖWF Redaktion
Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Englisch
- Tagged:10 Jahre, Analogforschung, AustroMars, MDRS
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