2019
Die studierte Luft- und Raumfahrtingenieurin begann ihre Karriere bei der Firma Kayser-Threde in München und arbeitete später für Airbus. Ab 2008 war sie Geschäftsführerin von HE Space, einer Personalvermittlungsfirma, die in der Raumfahrtindustrie tätig ist. 2016 gründete Sie die Initiative „Die Astronautin“ mit dem Ziel, die erste deutsche Frau zur ISS zu bringen. Auch den Verband „Women in Aeropsace Europe“ hat Sie mitgegründet.
ÖWF: Frau Kessler, die erste Mondlandung haben Sie als Vierjährige selbst miterlebt. Rührt daher Ihr Interesse für den Weltraum und was fasziniert Sie so daran?
Richtig, ich stand mit vier Jahren vor dem Fernseher, habe die Mondlandung miterlebt und ab da war es mein Lebenstraum, Astronautin zu werden. Das habe ich seither immer versucht zu verfolgen, auch wenn ich es bis jetzt nicht in den Weltraum geschafft habe, so doch recht nah dran. Die Faszination rührt genau von dem Bild her, was damals im Fernsehen zu sehen war. Das Bild was man vom Mond aus von der Erde sah. Ich wollte einmal selbst da draußen sein.
ÖWF: Um einen Planeten zu erkunden, würden Sie alles zurücklassen, habe ich gelesen und in mich hineingegrinst. Denn mein Mantra lautet: Ich würde alles dafür geben, die Ringe des Saturn mit meinen eigenen Augen zu sehen. Welcher Planet hat es Ihnen besonders angetan?
Wow, da hätte ich ja schon ziemlich Gänsehaut – die Saturnringe! Mir würde es schon reichen, wenn ich auf dem Mond stehen könnte. Auch weil man da noch die Erde im Blick hat. Den Mars zu erkunden, wäre ebenfalls toll. Weiter raus, darüber habe ich noch nicht nachgedacht.
ÖWF: Ihre Ziele sind damit weitaus realistischer als meine Vision. Der Blick von außen auf die Erde, auf unseren Planeten mit seiner filigranen Gashülle – ein Anblick, von dem ich wünschte, jeder hätte die Chance, das zu sehen. Dann würden wir besonnener mit unserem Planeten umgehen. Leider können wir das nicht jedem ermöglichen.
Da haben Sie recht, leider ist das nicht möglich. Doch genau dieser Blick von außen ist so wichtig. Wir müssen auch verstehen, was mit anderen Planeten passiert ist, um unseren Planeten besser zu verstehen. Es ist immer schwierig, wenn man Teil des Systems ist, und dann versucht, das System zu verändern. Der Blick von außen ist notwendig.
Wenn wir uns z. B. den Mars anschauen, bei dem vermutet wird, dass er einmal ein sehr viel lebendigerer Planet war, so ist es wichtig diesen zu erforschen, um ggf. Rückschlüsse auf die Erde zuziehen, um Abläufe und Prozesse zu verstehen.
ÖWF: 2016 haben Sie die Initiative „Die Astronautin“ gegründet. Unsere Analog-Astronautin Carmen Köhler hatte sich damals an der Ausschreibung beteiligt und ist heute in Ihrem Team aktiv. Erzählen Sie uns etwas von der Arbeit, die Sie und Ihr Team in den letzten Jahren gestemmt haben.
Das Ganze ging los mit der Auswahl 2016, die ich privat gestartet habe. Damals hieß es, in Deutschland gibt es keine Frauen, die dazu geeignet wären, Astronautin zu werden. Das wollte ich wiederlegen. Somit habe ich im ersten Schritt die Stelle veröffentlicht und mir gesagt, okay, das will ich jetzt wissen. Wir suchen die erste deutsche Astronautin und rekrutieren sie und zwar mit den gleichen Auswahlkriterien und Mechanismen, die auch die ESA anwendet. Wir hatten über 400 Bewerberinnen, viele waren hochqualifiziert, und nach einem Jahr mit einem mehrstufigen Auswahlverfahren, wurden zwei Astronautinnen ausgewählt.
Seit April 2017 sind nun beide im Training, wobei sie auch noch mehr oder weniger Vollzeit in ihren Hauptberufen tätig sind. Das heißt, es ist ganz anders als bei Berufsastronauten, die dann natürlich komplett aus ihrem Job rausgehen und sich ganz und gar aufs Astronautensein konzentrieren. Unsere beiden Astronautinnen sind weiterhin als Wissenschaftlerinnen tätig, Suzanna Randall als Astrophysikerin und Insa Thiele-Eich als Meteorologin in der Klimaforschung. Sie absolvieren das Astronautentraining und alles was sonst von unserem sehr anspruchsvollen Projekt gefordert wird zusätzlich dazu. Das ist natürlich eine große Herausforderung. Ich selbst konzentriere mich seit einem Jahr voll und ganz auf „Die Astronautin“. Davor war ich Geschäftsführerin einer Personalvermittlungsfirma.
Aktuell finanzieren wir uns über Vortragsevents, Raumfahrtevents, Sponsoren und Spenden. Wir sind also viel unterwegs, um der Bevölkerung das Thema Raumfahrt nahe zu bringen. Mit unseren Vorträgen möchten wir Mädchen für die Raumfahrt begeistern und unser Thema „Die Astronautin“ in die Presse und Öffentlichkeit tragen. Eine Raumfahrerin für Deutschland hat ganz viel Symbolkraft und eine Vorbildfunktion für Mädchen und Frauen. Das klassische Männer-Helden-Bild, was unsere männlichen deutschen Astronauten hervorragend vertreten, reicht nun einmal nicht aus, um bei Frauen das Zutrauen, dieses „Das kann ich auch.“, zu wecken. Wir Frauen brauchen weibliche Vorbilder.
ÖWF: „Die Astronautin“ möchte unter anderem Frauen und Mädchen für technische Berufe und ein naturwissenschaftliches Studium begeistern, wie Sie gerade sagten. Sind Sie in dieser Hinsicht ein Vorbild für Ihre Tochter?
Ich bin Raumfahrtingenieurin, meine Tochter studiert Kommunikation und Wirtschaft, hier ist es mir nicht gelungen. Doch ich denke, was ich als Vorbild recht stark vermitteln konnte, ist Selbstvertrauen, der Glaube an sich selbst, die Eigeninitiative. Also andere Werte, nicht das Technische an sich, aber die Werte, für die wir sonst stehen, den Mut, etwas Neues zu wagen und sich durchzusetzen.
ÖWF: Welche Rückmeldungen bekommen Sie von Frauen und Mädchen?
Wir bekommen Bewunderung und Dankbarkeit dafür, dass wir diesen Schritt gehen. Auf der anderen Seite erleben wir Unterverständnis und Verwunderung darüber, dass es im Jahr 2019 immer noch nötige ist, eine private Initiative auf die Beine zu stellen, privat das Geld einzuwerben, um eine Frau ins All zu fliegen – in Deutschland, in einem Hochtechnologieland.
ÖWF: Es gibt einen Cowntdown auf Ihrer Webseite. Ein Starttermin für die erste deutsche Astronautin steht also?
Den Cowntdown gab es so ziemlich von Anfang an, weil unser Ziel war, 2020 ins All zu fliegen. Nun haben wir einen Starttermin, der ist jedoch verschoben worden auf das Frühjahr 2021 aufgrund von SpaceX. Wir planen mit SpaceX und AXIOM in den USA ins All zu fliegen. AXIOM ist eine Ausgründung der NASA, die zukünftig kommerzielle Raumstationen bauen und betreiben werden. Mit denen haben wir eine Vereinbarung, dass wir einen Slot in einer 10-Tage-Mission auf der ISS im Frühjahr 2021 haben werden.
ÖWF: Wow, das ist großartig!
Das einzige was uns fehlt, ist die Finanzierung dafür.
ÖWF: Okay, dann müssen wir noch etwas Werbung für „Die Astronautin“ machen. Aber trotzdem; Von der Gründung der Initiative, also bei Null angefangen, bis zum Start der ersten deutschen Astronautin ins All werden nur fünf (5!) Jahre vergangen sein. Das ist eine großartige und sehr respektable Leistung! Innerhalb von fünf Jahren ein solches Projekt zu stemmen, stell ich mir sehr zeitintensiv und herausfordernd vor.
Das ist es! Es ist auf jeden Fall zeitintensiver als jeder andere Job, auch herausfordernder und mit einem großen Zeit- und Energieaufwand verbunden. Aber es kommt sehr viel Positives zurück, wenn wir mit Mädchen und Frauen reden. Wir merken, dass wir richtig etwas bewirken, Grenzen versetzten und neue Dinge anstoßen. Dafür lohnt sich die Mühe.
Auf der anderen Seite haben wir viel, viel die Trommel gerührt und Sponsoringpakete geschnürt, doch es ist sehr mühsam die Finanzierung auf die Beine zu stellen. Wir reden bei diesem Projekt von großen Summen. Daher haben wir dieses Jahr vermehrt versucht, Lobbyarbeit in Berlin zu betreiben. Aber von der Begeisterung für eine Sache bis zur konkreten Finanzierung eines solchen Millionenprojektes ist es ein sehr langer Weg.
ÖWF: Wo stehen Ihre beiden Kandidatinnen, Insa Thiele-Eich und Suzanna Randall, aktuell im Trainingsplan?
Wir haben schon viel geschafft, wenn man bedenkt, dass all das privat finanziert und organisiert wurde. Beide haben Parabelflüge absolviert und ihre Flugscheine gemacht, fliegen nun regelmäßig. Wir haben ein Tauchtraining in Marseille, am COMEX-Institut, durchgeführt und dort eine Mondmission simuliert. Sie haben ein Theorietraining bei Airbus in Bremen zum Erlenen von Prozeduren und ein Raumstation-Systemtraining absolviert, ebenso ein medizinisches Training. Für das wissenschaftliche Training waren wir eine Woche bei Airbus in Friedrichshafen, wo es darum ging, die Bedienung von verschiedenen wissenschaftlichen Geräten auf der ISS zu erlernen.
ÖWF: Wenn die Finanzierung dann steht und der Start im Jahr 2021 immer näher rückt, was müssen die beiden Astronautinnen vorbereitend noch tun?
Ein Überlebenstraining steht ihnen noch bevor, dann einige Monate in den USA in Houston bei der NASA, dieses Training wird von unserem Partner AXIOM mitorganisiert. Auch kommt es darauf an, mit welchem Team man fliegt und so wird es ein entsprechendes Teamtraining geben. Die Einweisung in die Kapsel von SpaceX ist vermutlich recht überschaubar, da sie sehr autonom fliegen wird.
ÖWF: Was treibt Sie an? Woher nehmen Sie die Energie für „Die Astronautin“?
Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich einmal über 50 Jahre alt werde und immer noch keine deutsche Frau im All war. Als Kind ging ich davon aus, dass Frauen und Männer gleichberechtigt in solchen Projekten arbeiten werden. Dieser kurze Moment der Mondlandung, den ich als Kind miterleben durfte, der hat mein ganzes Leben beeinflusst. Daher rührt meine Faszination für den Weltraum, darum habe ich mich für ein technisches Studium entschieden. Solche Momente möchten wir mit „Die Astronautin“ schaffen und die Zukunft von Mädchen in Deutschland verändern.
ÖWF: Ein wunderbares Schluss-Statement! Es war ein großes Vergnügen mit Ihnen zu sprechen und ich bedanke mich für die Zeit, die Sie uns geschenkt haben. Weiterhin viel Erfolg für „Die Astronautin“ und ich freue mich sehr darauf, 2021 die erste deutsche Astronautin im All zu sehen.
Das Interview führte Marlen Raab, ÖWF Medienteam
Für die Spacegirls unter uns:
https://astronautin.shop/de/
https://dieastronautin.de
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