2021
Geographie auf dem Mond – Teil 1
Studierende der Forschungsgruppe Physiogeographie & Umweltwandel an der Universität Basel haben in Zusammenarbeit mit dem australischen Entwicklerteam BlueSat an der analogen Mondmission Asclepios I in den Schweizer Alpen ein Experiment zur geomorphologischen Kartierung durchgeführt.
Von Lukas Powollik
Unser Ziel bestand darin, während einer simulierten Mondmission in den Schweizer Alpen einen neuen Ansatz der Geographie für das Studium extraterrestrischer Landschaften zu testen. In diesem Artikel möchten wir von der Entstehung, der Ausbildung unserer Astronauten bis hin zu den Ergebnissen der ersten Mission Asclepios berichten.
Worum geht es?
Im Jahr 2019 lernte ich an einer Fortbildung des ÖWF in Innsbruck zwei Studierende der EPFL Lausanne kennen, die drauf und dran waren ihre eigene analoge Mondmission nach Vorbild des ÖWF zu organisieren. Knappe drei Wochen später fand ich mich in der Rolle des PI (Principle Investigator) von meinem ersten, eigenen Forschungsprojekt wieder: GeoReMap.
Rover und Satelliten bieten einen limitierten ersten Eindruck fremder Planetenoberflächen, aber eben nur einen limitierten. «Mensch vor Ort müsste man sein, besser gesagt Geograph vor Ort, denn dann wüsste man was zu tun ist!», dachte ich zu Beginn dieses Projekts, in dem es um die Frage ging, wie Astronauten ohne geographische Ausbildung einen fremden Planeten geographisch untersuchen könnten. Hierzu entwickelten wir einige neue Methoden, die wir im Folgenden gerne vorstellen möchten.
Landform Classification System
Unser neuentwickeltes LCS (Landform Classification System) umfasste drei Kategorien: Oberflächenart, Stabilität des Untergrunds und die physiologische Anstrengung auf einzelnen Wegabschnitten. Diese einfachen Eigenschaften sind leicht bestimmbar, geben aber hinreichend Auskunft über die Umweltbedingungen einer Landschaft um aufbauend auf ihnen weitere Ausseneinsätze sicher zu planen.
Das Design des LCS stand fest, aber die Frage nach der Bestimmung dieser Parameter im Feld war noch offen. Die Oberflächenart kann einfach mit blossem Auge identifiziert werden, entweder handelt es sich um blanken Felsen oder eine Auflage aus Lockermaterial. Zur Bestimmung der Korngrössen von Lockermaterial nutzt man üblicherweise Referenzschablonen. In unserem Fall sollten die Astronauten ihre Hände als Referenz verwenden. Sand umfasst sämtliche Körner kleiner als ein Fingernagel, Kies liegt zwischen Fingernagelgrösse und einer geschlossenen Faust und Klasten sind grösser als eine geschlossene Faust. Viel banaler – und effizienter – geht es kaum!
Etwas schwieriger gestaltete sich die Bestimmung der Stabilität eines Untergrundes. In unserem Experiment verwendeten wir den «Stand-on-it Test», bei welchem mit dem Fuss auf das Substrat Druck ausgeübt wurde, bis es zu einer Reaktion (Sandkörner rutschen weg, Fuss sinkt ein) kommt. Für die physiologische Anstrengung, die dritte Kategorie, definierten wir insgesamt fünf Level, bezogen auf Gefälle und Trittsicherheit, die von den Astronauten nach subjektiver Einschätzung während des Ausseneinsatzes bestimmt wurden.
Geolokalisation und Orientierung
Die nächste Herausforderung bestand in der Frage nach der Standortbestimmung im Feld, also dem Messen von Koordinaten. Wenn die Astronauten eine Landform kartiert haben, wollen wir diese Information natürlich gerne möglichst realgetreu in einer Karte abbilden. Gleichzeitig sollten die Astronauten auch ohne Google Maps in der Lage sein, ihre aktuelle Position zu ermitteln und Anweisungen befolgen zu können, um den nächsten Messpunkt zu finden. Für die sogenannte Geolokalisation bieten sich verschiedene Methoden an, je nachdem wie die äusseren Bedingungen sind. Eine altbewährte Methode ist die Peilung mittels Karte und Referenzpunkt am Horizont, die wir als Vorlage für unser neues Verfahren namens «Local Positioning» verwendeten. Zunächst bestimmten wir vier Landschaftselemente als relative Himmelsrichtungen (Beispiel in der Karte: Stauwehr als Nordpol) und eine Reihe an «Reference Orientation Points» im Feld (zum Beispiel eine asphaltierte Strasse).
Während des EVA sollten die Astronauten anhand dieser Referenzen durch das Gelände navigiert werden und stets in der Lage sein, ihre aktuelle Position relativ zu einer dieser Referenzen dem Mission Control Centre mitzuteilen.
Im Herbst 2020, als der PI von GeoReMap verzweifelt den Appstore seines Smartphones nach einer GPS-App durchforstete, erhielt er eine Mail von Asclepios. Ein australisches Entwicklerteam der University of New South Wales hätte sich bei ihnen gemeldet und angeboten, für Asclepios eine GeoTracking App zu programmieren. Noch am selben Tag stellten wir den ersten Kontakt zwischen GeoReMap (Schweiz) und BlueSat (Australien) in einer Mitternachtsschalte her. Auf einmal war das Projekt nicht mehr nur interdisziplinär, sondern international – ja sogar interkontinental!
Die Anforderungen an die App lagen für uns auf der Hand, wichtig war eine einfache Kalibrierung und Bedienbarkeit während eines Ausseneinsatzes. Geodaten sollten sowohl automatisch in regelmässigen Intervallen aufgezeichnet werden, um die Laufwege der Astronauten zu tracken, und manuell an spezifischen Messpunkten. Neben Länge und Breite sollten noch Höhe über Meer und die Zeit gemessen werden. BlueSat lieferte und zwischen uns und den Australiern entstand eine echte Freundschaft.
Aus Astronauten werden Geographen
Nun befassten wir uns mit dem Ausbildungsprogramm für unsere Astronauten. Ähnlich wie bei NASA, ESA und Co. hatte auch die Crewmitglieder von Asclepios einen fachlichen Hintergrund in Medizin, Technik oder Physik, nicht aber in irgendeiner Disziplin der Geowissenschaften. Somit war ein Training im geographischen Denken und Arbeiten erforderlich, um das Experiment durchzuführen.
In der ersten Zoom-Lektion ging es um die Basics der Geographie: wie entstehen Karten, wie «liest» man aus der Landschaft ihre Entstehungsgeschichte heraus, welche unterschiedlichen Messmethoden (Drohnen, Satelliten) für Geoinformationen gibt es? Ebenfalls war es mir wichtig den Astronauten aufzuzeigen welchen Mehrwert die Geographie für Menschen auf der Erde – und eines Tages auf dem Mond – erbringen kann. Informationen über die Stabilität des Bodens beispielsweise sind für die Planung von Infrastruktur essentiell, auf dem Mond sogar überlebenswichtig. Wer möchte schon, dass der Untergrund nachgibt und die schöne Mondbasis über einem zusammenstürzt?
In der zweiten Runde einige Monate später befassten wir uns dann konkreter mit GeoReMap und den EVAs (Extra Vehicular Activity, also Ausseneinsatz) im Juli, besprachen das LCS, die einzelnen Methoden zur Messung und Orientierung, sowie den exemplarischen Ablauf eines EVAs.
Kommen wir zum praktischen Training. Irgendwann im März 2021 kontaktierten mich zwei der für die Astronautenausbildung Verantwortlichen von Asclepios. Sie hätten da so eine Idee für meinen Praxisteil, der es in Sachen Kreativität in sich hatte. Astronauten der NASA und ESA müssen bekannterweise ein Überlebenstraining absolvieren, für den Fall einer Bruchlandung irgendwo im Nirgendwo. Ihre Idee bestand nun darin, genau so eine Bruchland zu simulieren, die Astronauten irgendwo im Schweizer Jura auszusetzen und ihnen nach Vorbild eines Escape Games zahlreiche Aufgaben zu stellen, durch die sie zurück zur Basis finden würden. Die Aufgaben sollten zum Training meiner Orientierungs- und Kartiermethoden dienen, gleichzeitig aber auch das räumliche Verständnis der Astronauten fördern.
Am 27. Mai 2021 war es dann so weit. Ich reiste nach Lausanne, um zum ersten Mal die Astronauten persönlich zu treffen. Morgens fuhren wir zum Dent de Vaulion und machten einen kleinen Spaziergang, auf welchem ich den Astronauten unterschiedliche Landformen zeigte und die Anwendung der Methoden vormachte.
Nach der kurzen Einführung am Morgen begann dann das Massive Escape Game, von dem die Astronauten bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts ahnten.
Die Astronauten sollten keinen blassen Schimmer davon haben, wo wir sie aussetzten als wir sie in zwei Gruppen, Basiscrew und Landungscrew, aufteilten, die Augen verbanden und in die Fahrzeuge geleiteten.
Mit zwei «Geiseln» auf dem Rücksitz fuhren wir zur anderen Seite des Mont Tendre und setzten dort die Basiscrew aus, während die Landungscrew unterhalb des Dent de Vaulion ausgesetzt wurde. Die erste Aufgabe bestand für beide Teams darin, mittels Satellitenbildern herauszufinden wo sie sich befanden, Kontakt zum anderen Team aufzunehmen und sich über das weitere Vorgehen abzusprechen. Als sie soweit waren erhielten sie ihre nächsten Aufgaben.
Teil 2 folgt.
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