2022
Das Human Factors Team hatte während unserer AMADEE-20 Mars-Simulation im Oktober 2021 die Aufgabe, die Analog-Astronaut*innen und das Team im Mission Support Center (MSC) zu unterstützen. Während der Mission wurden operative Daten zu Wohlbefinden, psychischer Gesundheit, Leistung, Aufmerksamkeit und Schlaf, aber auch Daten zur Kommunikation zwischen den Gruppen und zum Stressmanagement im MSC analysiert und verarbeitet. Human Factors bot Unterstützung für alle Fragen im Zusammenhang mit der psychischen Gesundheit der Besatzung und arbeitete täglich mit den Biomedical Engineers (BME) zusammen. Das Human Factors Team unterstützte das MSC bei Briefings, z. B. in Bezug auf Konfliktmanagement sowie bei psychologischen Experimenten.
Im folgenden Interview gibt uns Alexandra de Carvalho, Leiterin des Human Factors Teams, einen Einblick in ihre Arbeit.
Welche Voraussetzungen und Erfahrungen sind nötig, um als Mitglied im Human Factors Team an einer ÖWF Analog Mission teilzunehmen?
Alexandra: Bei uns machen Menschen mit, die eine psychologische, psychotherapeutische oder ähnliche Grundausbildung haben. Dafür darf man auch noch mitten im Studium oder in der Ausbildung sein. Wichtig ist Interesse am Gebiet der Weltraumpsychologie, Neugierde, Teamgeist und die nötige Zeit sich bei uns einzubringen. Dafür erwartet Teammitglieder ein inspiriertes und motiviertes Team aus Menschen mit ganz verschiedenen Hintergründen (Neurowissenschaft, klinische Psychologie, Schlafforschung u. A.).
Das Human Factors Team ist für die mentale Gesundheit der involvierten Teams sowohl im Feld als auch im MSC während der Mission verantwortlich. Wie kommuniziert ihr aus der Distanz, besonders im Hinblick auf die Zeitverzögerung zwischen „Erde“ und „Mars“, mit den Teams im Feld?
Alexandra: Auf der Erde ist es einfach für uns: wir haben immer Mitglieder im Mission Support Center, die die Teams auf der Erde unterstützen und begleiten. Wir erfassen die Stimmung, sorgen für Pausen oder führen Gespräche mit Nachbesprechungen. Schwieriger wird es „auf dem Mars“. Hier nutzen wir Mails oder das Chatprogramm. Wichtig ist aber auch, dass wir während der Mission in beiden Teams eine Art „Monitoring“ laufen haben, wo wir mittels Fragebögen täglich verschiedene Parameter erfassen. Dazu gehören Schlaf, Konzentration, Stimmung – und wir bieten den Menschen dadurch eine regelmäßige Möglichkeit sich bei uns zu melden oder ihre Themen anzubringen. Es ist realistisch, dass wir nicht unmittelbar im Feld vor Ort sind – das wäre bei einer realen Marsmission auch nicht der Fall. Daher ist es wichtig zu trainieren, wie wir aus der Ferne aktiv werden können, aber auch wie wir Teams im Vorfeld so trainieren, dass sie das alleine können.
Wie lange vor einer Mission werden regelmäßig Untersuchungen und Vorbereitungen für die psychische Gesundheit der Analog-Astronaut*innen durchgeführt?
Alexandra: Unsere Begleitung beginnt mit der Auswahl von neuen Teammitgliedern. Diejenigen, die ins Feld kommen, werden von uns begutachtet. Danach unterstützen wir die regelmäßigen Trainings oder bieten eigene Trainings an. Auch nach der Mission sprechen wir mit den Teams und sammeln lessons learned für die nächsten Missionen.
Was macht es mental mit einem Menschen, wenn sie/er häufiger in Ausnahmesituationen – und das Tragen unseres fast 50 kg schweren Raumanzugsimulators gehört sicher dazu – konzentriert arbeiten muss und weiß, dass Teams auf die Ergebnisse der Arbeit angewiesen sind und darauf warten?
Alexandra: Ausnahmesituationen führen zu Stress. Hier ist aber wichtig zu prüfen, ob der Stress noch herausfordernd oder überfordernd für einzelne Teammitglieder ist. Herausforderung in kurzen Phasen (z. B. einem EVA, einem Aussenboardeinsatz) kann dazu führen, dass jemand sogar leistungsfähiger ist und mehr schafft. Das kann sich sogar euphorisch und auch belohnend und selbstwertstärkend anfühlen. Wir arbeiten mit Menschen, die dieses Gefühl gerne haben und sich auch sonst öfters mal Extremsituationen aussetzen. Wichtig ist, dass die Situation für Menschen machbar bleibt. Wer zu stark überfordert ist, kann sich nicht konzentrieren, bekommt schlechte Laune und macht mehr Fehler. Das kann auch zu Konflikten im Team führen. Daher versuchen wir mit den Teams ein Pensum auszuarbeiten, dass fordernd, aber nicht überfordernd ist. Langeweile wäre nämlich auch nichts für unsere Astronaut*innen.
Wie lange begleitet ihr die Feldcrews während der Rehabilitationsphase nach einer Mission, um sicherzustellen, dass die Analog-Astronaut*innen und das OSS Team in einem guten mentalen Zustand sind und worauf legt ihr in dieser Phase besonderen Wert?
Alexandra: Wir besprechen mit den Teams nach der Mission und prüfen dann individuell was nötig ist. Fast immer geht es den Crews gut, Menschen können sich wieder in ihren Alltag integrieren und beschreiben ihre Erfahrung als positiv. Den meisten ist es wichtig, dass ihre Erfahrungen auch einen Einfluss auf weitere Missionen haben (lessons learned), von denen andere profitieren können. Dafür sorgen wir und helfen den Teams solche Aspekte zu strukturieren.
Während der Mission war euer Team stark involviert und ihr hattet lange Arbeitstage. Wie sorgt ihr für die nötige Distanz und eure eigene mentale Gesundheit?
Alexandra: Wichtigste Regel: Pausen machen produktiv! Nur wer Pausen macht, kann neue Energie generieren, um wieder eine gute Leistung abliefern zu können. Darauf achten wir. Es ist wichtig, dass wir als Team auch ein Vorbild für andere Gruppen sind und vorleben auch mal Feierabend zu machen. Zweite Regel: Spaß haben! Egal wie stressig oder nervig Arbeitstage sind, es ist wichtig auch mal private, fröhliche und verbindende Elemente in einen Missionsablauf einbauen. Das kann gemeinsames Pizzaessen sein oder ein Karaokeabend mit allen anderen. Sowas macht wieder lebendig und steigert die Motivation bei allen. Dann sollte jeder schauen, was er oder sie persönlich braucht um mental leistungsfähig und motiviert zu bleiben. Bei mir ist Sport und eine gesunde Ernährung essenziell, damit ich meinen Tag gestalten kann, jemand anderes braucht mehr Schlaf oder Ruhephasen und sollte diese auch einbauen. Das hat nichts mit Schwäche, sondern mit Selbstfürsorge zu tun. Wenn mein Auto keinen Sprit mehr hat, fährt es ja nicht schneller, weil ich auf das Gas steige, sondern indem ich es wieder betanke. So ist das mit Menschen auch.
Vielen Dank, Alexandra!
Weitere ausführliche Informationen zur Mission: https://oewf.org/amadee-20/
Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Englisch
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