2024
Inklusion und Barrierefreiheit sind schon seit Jahren vieldiskutierte Begriffe. Um deren Implementierung in der Gesellschaft, bemühen sich Institutionen auf zahlreichen Fronten und in zahlreichen Gebieten des alltäglichen Lebens. Ich heiße Tomas Ducai, bin 24 Jahre alt, ein aktiver Rollstuhlfahrer und bin mit den meist mehr oder weniger gelungenen Auswirkungen der Umsetzung der obigen Begriffe tagtäglich konfrontiert.
Als Bürger der Stadt Wien, genieße ich das Lebensgefühl einer Stadt, welcher mehrmals hintereinander das Adjektiv weltweit „lebenswertest“ zugeschrieben worden war – dies kann ich, aus der Position eines aktiven Rollstuhlfahrers nur bestätigen. Dass Städte das Credo der Inklusion und Barrierefreiheit leben und umsetzen, mag vielleicht nicht gänzlich ungewöhnlich klingen – dass diese Attribute jedoch auch auf Organisationen in den Weltraumwissenschaften zutreffen, ist durchaus außergewöhnlich, innovativ und lässt körperlich beeinträchtige Personen mit einem Interesse an Weltraum, wie mir, hoffen, in diesem Bereich an Projekten teilzunehmen. Dies ist mir im März dieses Jahres gelungen, als ich im sog. analogen Weltraumhabitat LunAres an einer simulierten Weltraummission als erster rollstuhlfahrender analoger Para-Astronaut teilgenommen habe.
Simulierte Weltraummissionen sind Missionen, in denen das (Zusammen-)Leben mit anderen Crewmitgliedern auf einer (analogen) Weltraumstation an einem anderen Himmelskörper (meist Mond oder Mars) und alle damit zusammenhängenden Prozesse (samt simulierter Außenbordeinsätze) simuliert und trainiert werden. Dabei kann der Fokus einer solchen simulierten Weltraummission auf der möglichst detailgetreuen Simulation der Umgebung des Himmelskörpers oder aber auf der Simulation der Isolation (von der Außenwelt – sozial und physisch) liegen. Im polnischen analogen Weltraumhabitat LunAres liegt der Schwerpunkt auf zweiterem Szenario. Die beschriebenen Aspekte werden bei LunAres um die anfänglich angeführten Attribute der Inklusion und Barrierefreiheit (des Habitats, sowie aller Prozesse) erweitert und dies aus gutem Grund – hierbei ist nicht nur das derzeitige Vorhaben der Europäischen Weltraumagentur (ESA), welche im Rahmen der letzten Astronautenselektion erstmals einen Astronauten mit körperlicher Beeinträchtigung ausgewählt hat, zu erwähnen, sondern auch die Simulation von Weltraummissionen mit körperlich beeinträchtigten Personen, da es gerade bei längeren (echten) Weltraummissionen wahrscheinlich ist, dass sich eigentlich gesunde Crewmitglieder schwer verletzen und von nun an beeinträchtigt ihren Weltraumaufenthalt – tausende bis Millionen Kilometer von der Erde entfernt – fortsetzen müssen. Der Umgang mit solchen Szenarien bedarf, wie man sich vorstellen kann, zahlreicher Simulationen vorab, worin LunAres eine Vorreiterrolle einnimmt – es ist bisher das einzige analoge Weltraumhabitat, welches Missionen mit körperlich beeinträchtigten Crewmitgliedern durchführt.
Unsere Crew der simulierten, zweiwöchigen Mondmission Pegasus war abgesehen von der Gegebenheit meines Rollstuhls ohnehin schon divers. Insgesamt sechs Missionsteilnehmer*innen stammten aus drei Kontinenten, alle mit unterschiedlichen akademischen Hintergründen, mit unterschiedlichen Aufgaben während der Mission – der Commander sowie der Executive Officer waren für die Organisation der gesamten Mission zuständig, hatten bei (kritischen) Entscheidungen das letzte Wort und standen hierfür regelmäßig mit dem Missionskontrollzentrum „auf der Erde“ in Kontakt. Der Engineering Officer war für alle technischen Fragen rund um das Habitat der erste Ansprechpartner und war immer mit „Hands-on“ Zugang mit Rat und Tat zur Stelle. Der Medical Officer kümmerte sich um unser medizinisches Wohlergehen und überwachte durch Messungen unsere wichtigsten medizinischen Parameter. Der Communications and Outreach Officer war für das festhalten aller Eindrücke während der Mission zuständig – eine besonders wertvolle Aufgabe, um die Aktivitäten während einer solchen simulierten Weltraummission adäquat zu präsentieren. Der Biolab Officer, ich, kümmerte mich um das Biologie-Labor auf der analogen Weltraumstation und führte Experimente durch – dabei untersuchte ich die Keimungseigenschaften von Spinat in herkömmlicher Erde und „Weltraumerde“ – zermahlenem Meteoritenpulver – dabei erfreute es mich sehr zu sehen, dass der Spinat selbst im „exotischen“ Weltraumsubstrat keimte und zu wachsen begann. Nebenbei überwachte ich biologische Experimente anderer Crewmitglieder, während der Engineering Officer im Rahmen unserer Mission neue technische Features am „Mondrover“ Leo etablierte und sich allgemein um technische Wartungen unseres Helferleins bei Außenbordeinsätze kümmerte.
All dies ist nur ein kleiner Einblick in die vielfältigen Aktivitäten während unserer simulierten Weltraummission am Mond, welche zusätzlich simulierte Weltraumaußenbordeinsätze (die ich meist von der Mondbasis aus leiten durfte), sowie Meditation, sowie das Kochen traditioneller polnischer Pierogi (Teigtaschen) beinhaltete. Über allem standen jedoch die von mir erwähnten Attribute – Inklusion und Barrierefreiheit – welche nicht nur von uns, allen Crewmitgliedern, sondern auch vom Missionskontrollzentrum (den Organisatoren und Erfindern des analogen Weltraumhabitates LunAres) gelebt wurde, um hervorzuheben, dass Weltraum tatsächlich für alle ist!
Autor: Tomas Ducai, ÖWF Social Media Team
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