2016
Im dritten Teil des Interviews sprechen wir mit dem Ersten Offizier, Alexander Soucek, der die Missionszeit im April 2006 in Utah verbrachte, und Olivia Haider, die während dieser Mission im Bereich Website & Kommunikation in Salzburg tätig war. Johannes Nendwich von der Back-up Crew konnte nicht am Interview teilnehmen, stellte uns jedoch Informationen aus seinem Tagebuch zur Verfügung.
ÖWF: Olivia, du warst damals im Bereich Website & Kommunikation im Missionskontrollzentrum in Salzburg tätig und die AustroMars Mission war deine erste Mission. Wie lief die Vorbereitung darauf ab?
Olivia Haider: Die Vorbereitung zur AustroMars Mission begann ca. 1,5 Jahre vor der eigentlichen Mission. Nachdem die Entscheidung getroffen wurde, dass wir uns an eine rein österreichischen MDRS (Mars Desert Research Station) Mission wagen und auch die Verfügbarkeit der Station mit der Mars Society geklärt war, konnten die ersten Schritte in die Wege geleitet werden. Einer davon war, einen österreichweiten Aufruf für Analog-Astronauten zu starten. Auch die Medien in Österreich griffen den Aufruf auf und das schlug sich dementsprechend in Bewerbungen um. Wir hatten knapp 200 Bewerberinnen und Bewerber, die mittels mehrstufiger Selektion immer weiter reduziert wurden bis 6 Crewmitglieder & 3 Backup-Crew-Mitglieder übrigblieben. Neben Reaktionstests, psychologischen Fragebogen musste man aber auch Fitnesstests überstehen, Tiefenpsychologische Interviews und den sogenannten „Schneewittchensarg“. Dort wurde der Lower Body Negative Pressure (LBNP) Test durchgeführt. Bei diesem Test wurden bei unseren Analog-Astronauten Kandidaten bauchabwärts ein Unterdruck erzeugt welches die Belastung bei hohen G-Werten simuliert. Praktisch alle Probanden verlieren normalerweise das Bewusstsein bei diesem Test. Bei unseren AustroMars Kandidaten konnte aber 1 Kandidat den „Schneewittchensarg“ besiegen. Dieser Kandidat fliegt beruflich allerdings auch Black Hawk Hubschrauber ;-).
Mehr über den LBNP erfahren: physiologie.cc/AHST.htm
Neben der Selektion, die über mehrere Monate lief, sowie dem anschließenden Analog-Astronauten Training, musste aber auch die Logistik im Vorfeld organisiert werden. Einfuhr- und Ausfuhrgenehmigung für Experimenten-Ausrüstung beantragt werden, Sponsoren aufgetrieben werden und nicht zu guter Letzt, die ganze Ausrüstung sicher verpackt werden, um in die USA transportiert zu werden.
Ich kann mich gut erinnern ein ganzes Wochenende auf der Uni Innsbruck mit einem halben dutzend anderer Leute verbracht zu haben, um Ausrüstung zu sortieren, katalogisieren (für den Zoll) und zu verpacken. Und das war nur ein winziger Teil, die für die Vorbereitung notwendig war.
ÖWF: Wie hast du dann die Mission erlebt?
Zur Zeit als die AustroMars Mission stattfand, das waren insgesamt 3 Wochen (1 Woche Vorbereitung und 2 Wochen high fidelity Mission), hatte ich gerade beruflich meine Job-Position gewechselt und konnte daher unter der Woche nicht im Missionkontrollzentrum in Salzburg sein. Daher hatte ich praktisch den halben Nachmittag die Webcams der MDRS offen, soweit die Arbeit es erlaubte, um die AustroMars Crew bei ihren Vormittagsaktivitäten (zu Utah gab es ja eine Zeitdifferenz von 8h) zu beobachten und verfolgte auf unserer Webseite die Updates. Zu der Zeit, 2006, war Social Media noch nicht in Europa angelegt und es gab keine Twitter & Facebook Posts zu schreiben :-D
Auf das Wochenende freute ich mich immer am meisten, da stieg ich dann in meinen kleinen FIAT Punto und fuhr zu MCC nach Salzburg. Die Stimmung im MCC war ganz eigen, man versuchte die Crew in Utah so gut wie möglich zu unterstützen. Durch die Zeitverschiebung war die intensivste Zeit dann abends bis in die Nacht hinein. Viele im MCC hatten auch ihren Rhythmus umgestellt und blieben die Nachtschicht. Wir hatten sogar Feldbetten in der Bibliothek in der Schule aufgestellt wo man wirklich gut geschlafen hatte…
ÖWF: Was war dein Highlight der Mission?
Für mich waren alle Wochenenden im MCC ein Highlight, da sie das ganze Team zusammengeschweißt haben. Wir arbeiteten viel, wir hatten aber auch viel Spaß und vor allem war jedem das Thema Weltraum & Exploration wichtig.
Ich hatte das Gefühl etwas Bedeutsames zu machen, einen kleinen Schritt mitzutragen, dass Menschen sicher den Planeten Mars in Zukunft erforschen können.
Johannes Nendwich gehörte zu den „Geistern des Mars“, also zur Back-up Crew. Sie haben der Flight Crew Probleme bereitet, die sie zu lösen hatten oder haben sie vor Problemen bewahrt, die sie mit den gegebenen Mitteln nicht allein hätten lösen können. Für die Flight Crew mussten sie „unsichtbar“ bleiben, es war schließlich eine High Fidelity Simulation! Johannes konnte nicht am Interview teilnehmen, stellte uns jedoch Informationen aus seinem Tagebuch „Ein Tag im Leben eines (Austro)Mars-Geistes“ zur Verfügung.
Sehr spät am Abend „draußen (an der MDRS) angekommen, stellte ich als erstes „Wendy“ (der primäre Dieselgenerator, der repariert werden musste) ab, der Tank war noch halbvoll. Dann brachte ich die mitgebrachten Sachen ins Engineer-lock des Habitats. Auf dem vom Vollmond erleuchteten Weg dorthin hörte ich schon Musik („Do kummt de Sun“) und Stimmen – ah ja, Yuri’s Night war noch im Gange. Trotz dieser Hintergrund-Geräusch-Kulisse bewegte ich mich so vorsichtig und leise wie möglich, schließlich hatte ich einen guten Ruf als Marsgeist zu verlieren (d.h. die Hab-Leute sollten auf keinen Fall mitkriegen, dass da andere Menschen außer sie selber zugegen waren – high fidelity simulation!)
Das Guckloch der inneren Schleusentür hatten sie zugeklebt, gute Idee! Das Zeug, das sie für uns reingestellt hatten, nahm ich mit raus. … Sachte schloss ich wieder die äußere Schleusentür und machte mich als unbemerkter Automatic Remote Engineering On-site-support Rover (AREOR) wieder von dannen – in die Engeneering Area. Dort legte ich die Werkzeugsachen zu den anderen und den Rest ins Auto. Sodann ging ich nach hinten (in die Automatic Refill Station), um der Reihe nach die drei ATVs (All Terrain Vehicle) in die Engeneering Area zu fahren … zwecks Wartung durch den On Site Support, also uns, am Folgetag. Bei der Partystimmung dürften die ATVs eh nicht gehört worden sein, schließlich gab es ja eine Sandwand zwischen Habitat und Engeneering Area und lauter als die Generatoren waren die Fahrzeuge auch nicht.
…
Ein paar Minuten genoss ich noch den Anblick des Mondes und der Sterne in der nun wieder stillen Nacht, schickte auch einen Gruß zum Mars, der neben Orion und Stier stand und fuhr schließlich wieder zurück (ins Hotel), nicht ohne einen Langohr-Hasen am Wüstenweg aufgescheucht zu haben, aber sonst ohne besondere Vorkommnisse.“
Backup-Crew Mitglieder Johannes Nendwich (links) und Rene Vidalli (rechts)
ÖWF: Alexander, was war dein Highlight der AustroMars Mission, die du als Erster Offizier begleitet hast?
Alexander Soucek: Da könnte man jetzt mit vielen technischen Details antworten – von aufregenden Canyon-Fahrten mit Raumanzug auf einem Quad bis zum Eingegipst-Werden als simuliertes Sturzopfer – aber meine vielleicht schönsten Eindrücke markieren Anfang und Ende der Mission. Der Anfang: Wir werden um fünf Uhr in der Früh im Raumanzug ausgesetzt, am Straßenrand in der Dunkelheit – das war die „Landung“ am Mars! Vom Straßenrand spazieren wir zu dritt – Norbert Frischauf, der Kommandant, Gernot Grömer, der Medical Officer, und ich, der erste Offizier – erst ein Stück weit mit Taschenlampen durch den Staub, dann beginnen wir zu klettern, während die Sterne über der Wüstenlandschaft langsam verblassen. Genau zum Sonnenaufgang stehen wir dann am Felsenplateau uns schauen auf die Marsstation tief unter uns: Nach einem Jahr Arbeiten, Vorbereiten, Hoffen blinzelt man durch den Visor in eine gelb-orange Sonne am Horizont und weiß – jetzt geht’s los. Das war ein starker Augenblick. Und das Ende: Nach zwei Wochen Isolation auf dem „Mars“, außer Bord immer nur nach Schleusenprozedur und im Raumanzug, treten wir zum ersten Mal ohne Helm und wieder in T-Shirt und Turnschauen nach draußen in den Sand. So leicht und komisch fühlt man sich! Man will eigentlich die Luft anhalten um ja nicht Marsatmosphäre in die Lungen zu bekommen! Dann versammeln sich alle Kollegen und Helfer auf einem Hügel, es gibt Bier, Geschichten und … tja, frische Äpfel! Und lustiger Weise blinzelt man schon wieder in einen Sonnenaufgang, diesmal mit 14-Tage-Bart, müde und trotzdem ziemlich entspannt.
ÖWF: Du hast inzwischen schon beides erlebt, Feld Missionen und Analog Missionen im Mission Support Center (MSC, damals noch MCC), wo arbeitest du lieber? Oder anders gefragt, worin liegt für dich der jeweilige Reiz?
Soweit ich weiß bin ich beim ÖWF bis dato der einzige, der drei sehr verschiedene Rollen in unseren Missionen ausgefüllt hat: Analogastronaut, Flugdirektor und auch Principal Investigator, also der Leiter eines wissenschaftlichen Experiments im Feld. Alle drei Positionen haben ihren Reiz. Natürlich ist die Astronautenrolle etwas Besonders, auch wenn man vom Rückentornister abgeschabte Schultern und Sand zwischen den Zähnen hat. Der Reiz ist es da, der verlängerte Arm einer ganzen Maschinerie von Menschen zu sein. Quasi das äußerste Glied der Kette, das im Feld – und zwar im wahrsten Sinn des Wortes: im Feld! – Proben nimmt und über Funk Fragen beantwortet. Aber viel öfter war ich Flugdirektor in Mission Control / Support auf der Erde. Und da ist das Reizvolle eindeutig: ein großes Team an tollen Kollegen zusammenhalten und gemeinsam der Mission einen Rahmen geben. Dazu auch dieser Bogen von den „großen“ Entscheidungen – Flugplanänderungen, Schlechtwetterfront, CO2-Werte im Helm – bis zu den „kleinen“ – wer geht zum plötzlich angesetzten ORF-Interview, wollen wir Pizza oder Pasta am Abend, und so weiter. Super! Ach ja, und als PI ist wieder alles ganz anders: Da entwickelt man doch tatsächlich „Vatergefühle“ in Bezug auf „sein“ Experiment. Interessant … und wenn die ersten eigenen Daten reinkommen: Das Baby ist da! Naja, ich bin ja kein abgebrühter Wissenschaftler.
Hier nutze ich jetzt die Gelegenheit, mit einem Vorurteil aufzuräumen: Wer bekommt weniger Schlaf während einer Mission? Die Field Crew meint, der Fall ist klar. Als Flugdirektor traue ich mich zu sagen: So klar ist der Fall mitnichten!
ÖWF: Die Gefahr des Lagerkollers besteht grundsätzlich immer, wenn Menschen auf engem Raum (fast) rund um die Uhr zusammenarbeiten. Wo sind solche gespannten Situationen schwieriger zu bewältigen, im Feld oder im MSC?
Auf beiden Seiten gibt es ganz spezifische Probleme: Erst mal auf dem Mars – da scheint die Sachlage klar: die Enge, die kleine Gruppe, der Feld-Stress, die Müdigkeit. Das Positive ist, dass die Analog-Astronauten ein langwieriges Training absolvieren und dass die gesamte Crew im Feld über Monate im Vorweg ein eingespieltes Team wird. Das gibt es so im Missionszentrum auf der Erde nicht. Also, auf der Erde: eine große Gruppe an Leuten, ein Kommen und Gehen, Räder, die erst einmal zusammengreifen müssen, dazu aber auch manchmal, unter der Oberfläche, das berühmte Gefühl „Warum bin ich nicht dort draußen im Feld?“. Das würde niemand so offen zugeben, aber unterbewusst kommt das immer wieder vor. Wenn man über Funk oder Foto ein bisschen was von der Abenteuer-Romantik mitbekommt, während man selbst mit dem Stadtbus um sieben Uhr durch den Frühverkehr zum Kontrollzentrum fährt. Und das führt dann auch zum dritten Problemkreis: Spannungen zwischen Feld und Erde, das berühmte „Wir gegen sie“-Gefühl. Schleicht sich trotz aller Vorbereitung und Professionalität immer wieder mal ein, nach vielen Tagen oder gar Wochen Stress auf beiden Seiten. Dem kann man nur mit viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl begegnen – auf beiden Seiten.
ÖWF: Gibt es eine Weisheit, die Du in den zehn Jahren seit AustroMars gelernt hast?
Da werde ich noch meinen Lieblingssatz los, in dem mehr Weisheit steckt als es auf den ersten Blick scheint: „Eine Marsmission findet immer auf zwei Planeten statt: auf dem Mars – und auf der Erde.
Vielen Dank für eure Zeit, die Aufzeichnungen und die schönen Eindrücke, die ihr vermitteln konntet.
Die Interviews führte Marlen Raab, ÖWF Redaktion
Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Englisch
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