2019
Nukleinsäuren – Träger der Erbinformation allen irdischen Lebens
Auf der Erde sind die Nukleinsäuren jene Makromoleküle, die aufgrund ihrer Rolle bei der Speicherung, Übertragung und Expression genetischer Information von allerhöchster Bedeutung für irdische Lebewesen sind. Die beiden wichtigsten Typen der Nukleinsäuren sind die DNA (Desoxyribonukleinsäure) und die RNA (Ribonukleinsäure). Die DNA und die RNA unterscheiden sich im Hinblick auf ihre Chemie und ihre Rolle in der Zelle. Wie die Namen bereits vermuten lassen, enthält die RNA in jedem ihrer Nucleotide den Zucker Ribose mit fünf Kohlenstoffatomen, während die DNA den nah verwandten Zucker Desoxyribose enthält. Im Hinblick auf ihre Funktion dient die DNA in erster Linie als Speicher der genetischen Information, während RNA-Moleküle mehrere verschiedene Aufgaben bei der Expression dieser Information übernehmen – das heißt, bei der Proteinbiosynthese (vgl. Hardin J., et al. 2016).
Historischer Rückblick
Es war der Mediziner und Physiologe Johannes Friedrich Miescher, der im Jahr 1869 in der Schlossküche zu Tübingen, dem Labor des Mediziners und physiologischen Chemikers Felix Hoppe-Seyler, zum ersten Mal Desoxyribonukleinsäure (DNA), die er noch Nuclein nannte, aus Eiterzellen (weißen Blutkörperchen) isolierte. Erst ein dreiviertel Jahrhundert später konnte überzeugend gezeigt werden, dass dieses Molekül Träger der Erbinformation sein könnte, denn 1953 publizierten die beiden Molekularbiologen Francis Crick und James Watson ihren berühmten zweiseitigen Artikel in der Zeitschrift Nature, in dem sie eine doppelsträngige, helikale Struktur für die DNA – die heute berühmte Doppelhelix –postulierten, die nicht allein die bekannten physikalischen und chemischen Eigenschaften der DNA erklärte, sondern auch den Vorschlag für einen Mechanismus zur Replikation der Struktur erlaubte. Die Doppelhelix besteht aus zwei komplementären DNA-Ketten, die um eine gemeinsame Achse gewunden sind und eine rechtsgängige helikale Struktur bilden, die einer sich spiralförmig nach oben windenden Wendeltreppe ähnelt. Die beiden Ketten sind auf der Helix in entgegengesetzter Richtung ausgerichtet, eine verläuft in der Richtung 5′ → 3′ und die andere in Richtung 3′ → 5′. Das Rückgrat jeder Kette besteht aus Zuckermolekülen, die sich mit Phosphatgruppen abwechseln (siehe Abbildung 2). Die Phosphatgruppen sind geladen und die Zuckermoleküle enthalten polare Hydroxylgruppen. Daher ist es keineswegs überraschend, dass die Zucker-Phosphat-Rückgrate der beiden Stränge auf der Außenseite der DNA-Helix liegen, wo ihre Wechselwirkung mit der wässrigen Umgebung maximiert werden kann. Die Pyrimidin- und Purinbasen sind wiederum aromatische Verbindungen, die weniger Affinität für Wasser aufweisen. Entsprechend sind sie nach innen ausgerichtet und bilden Basenpaare, die die beiden Ketten zusammenhalten.
In den 1960er Jahren haben wir gelernt, die Sprache der Gene zu lesen, in den 1970er Jahren auch, sie zu schreiben – die Verknüpfung von Genen im Reagenzglas, ihre Vermehrung und das Umsetzen der Erbinformation in Proteine wurde in Bakterien möglich. Rund 50 Jahre nach der Aufklärung der DNA-Struktur ist auch die gesamte Genomsequenz des Menschen und zahlreicher anderer Organismen bekannt. Weitere Genome werden aufgrund des technologischen Fortschrittes in der Molekularbiologie in immer kürzerer Zeit und zu einem Bruchteil der Kosten des Human Genome Projektes entschlüsselt (vgl. Knopp, V., 2009).
Sind RNA und DNA die einzigen erbinformationstragenden Moleküle?
Diese Frage haben sich jüngst Wissenschaftler rund um Professor James Cleaves vom Earth-Life-Science-Instituts (ELSI) am Tokyo Institute of Technology gemeinsam mit Kollegen vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Emory Universität gestellt. In ihrer Publikation in der Wissenschaftszeitschrift „Journal of Chemical Information and Modeling“ berichten die Wissenschaftler, dass sie sich zunächst die Frage gestellt haben, ob DNA und RNA vielleicht die einzige Möglichkeit sein könnten, Erbinformationen zu speichern oder ob sie vielleicht schlichtweg der beste Weg waren, der erst nach Millionen von Jahren „evolutionären Bastelns“ entdeckt wurde? Zur Beantwortung dieser Fragen haben die Autoren mittels ausgeklügelter Berechnungsmethoden die “chemische Nachbarschaft” von Nukleinsäureanaloga untersucht. Zum Erstaunen der Wissenschaftler zeigte sich, dass weit über eine Million mögliche Varianten erbinformationstragender Moleküle möglich wären. Das wiederum deute auf ein riesiges, unerforschtes Universum der Chemie hin, das für die Pharmakologie, die Biochemie und die Bemühungen, die Ursprünge des Lebens zu verstehen, von kaum absehbarer Bedeutung sei, erläutern die Autoren der Studie. Vor allem letzter Punkt ist für die Astrobiologie von großer Bedeutung.
Die Grundlage der natürlichen Selektion sind vererbare Informationen
Da sich die Biowissenschaftler weitgehend einig sind, dass die Grundlage der Biologie vererbbare Informationen sind, ohne die eine natürliche Selektion nicht möglich wäre, haben sich Evolutionswissenschaftler, die die Ursprünge des Lebens untersuchen, auch darauf konzentriert, DNA oder RNA aus einfachen Chemikalien herzustellen, die möglicherweise einst spontan auf der Urerde vorgekommen sind. Aus chemischen Überlegungen heraus gehen die meisten Wissenschaftler davon aus, dass sich die RNA vor der DNA entwickelt hatte. DNA ist aber viel stabiler als RNA, weshalb die DNA sozusagen zur „Festplatte des Lebens“ wurde.
„Es ist wirklich aufregend, das Potenzial für alternative genetische Systeme auf der Basis dieser analogen Nukleotide in Betracht zu ziehen“, zeigt sich Dr. Jay Goodwin, Chemiker an der Emory Universität von der Ergebnissen der Studie fasziniert und erläutert dazu abschließend: „Diese könnten möglicherweise in verschiedenen Umgebungen entstanden sein und sich entwickelt haben, vielleicht auf anderen Planeten oder Monden und das sogar auch in unserem eigenen Sonnensystem. Diese alternativen genetischen Systeme könnten unser Konzept des „zentralen Dogmas“ der Biologie in neue evolutionäre Richtungen erweitern, als robuste Reaktion auf zunehmend herausfordernde Umgebungen hier auf der Erde.”
Literatur:
Hardin, Jeff; Bertoni, Gregory Paul; Kleinsmith, Lewis J., 2016: Beckers Welt der Zelle – kompakt (Pearson Studium – Biologie) (German Edition). Pearson Deutschland.
Henderson James Cleaves II, Christopher Butch, Pieter Buys Burger and Jay Goodwin, 2019: One Among Millions: The Chemical Space of Nucleic Acid-like Molecules. Journal of Chemical Information and Modeling“, 2019, 59, 10. DOI: 10.1021/acs.jcim.9b00632
Volker Knoop, 2009: Gene und Stammbäume: Ein Handbuch zur molekularen Phylogenetik (German Edition). Spektrum Akademischer Verlag, 2. Auflage.
Watson J. D. and Crick F. H. C., 1953: Molecular Structure of Nucleic Acids: A Structure for Deoxyribose Nucleic Acid. Nature volume 171, pages 737–738. https://www.nature.com/articles/171737a0
Autor: Dr. Hubert Untersteiner (ÖWF)
- Tagged:DLR, DNA, ELSI, Emory University, Nukleinsäuren, Nukleinsäurenanaloga, RNA
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