2021
Geographie auf dem Mond – Teil 2
Nachdem ich im ersten Teil die umfangreichen Vorarbeiten bis zum Ausseneinsatz (EVA) beschrieben hatte, geht es hier nun mit dem eigentlichen EVA der Mission Asclepios I weiter.
Von Lukas Powollik
EVA am Grimselpass
Mission Asclepios I dauerte vom 12-20 Juli 2021 am Grimselpass in der Schweiz. Am 17 und 18 Juli fanden vormittags die beiden EVAs für GeoReMap statt. Das erste Feedback zu den EVAs holte ich mir in der Nachbesprechung bei meinen Astronauten direkt ab. Wie sich herausstellte waren die Satellitenbilder welche ich zur Planung der EVAs genutzt hatte nicht mehr ganz auf dem aktuellen Stand, denn die Landschaft am Grimselpass hatte sich in Folge mehrerer Bergstürze dramatisch verändert. Viele Gebiete waren nicht mehr zugänglich und auch die Wege verliefen nun anders als in Google Earth, weshalb die Astronauten nicht den gesamten EVA absolvieren konnten. Ein weiteres Problem bereitete das Wetter am ersten Tag, aufgrund starken Nebels waren viele Orientierungspunkte nicht zu sehen und der für den nächsten Vormittag angesetzte EVA musste sogar auf den 19 Juli verschoben werden. Beim zweiten EVA unter strahlendem Sonnenschein gelang es den Astronauten dann aber, fast alle fehlenden Standorte aufzusuchen und zu kartieren.
Resultate
Zunächst möchte ich die wichtigste Erkenntnis über geomorphologisches Kartieren unter «remote» Bedingungen thematisieren, nämlich die alles entscheidende Bedeutung gründlicher Vorbereitung und Planung. Schon beim Massive Escape Game waren die meisten Probleme einer zu ungenauen Standortbeschreibung der Wegpunkte geschuldet und auch beide EVAs litten unter mangelnder Eindeutigkeit und Exaktheit. In beiden Fällen hätten aktuellere Satellitenbilder sicher Abhilfe gebracht, jedoch vermitteln fernerkundliche Datenquellen nicht den wahren Eindruck «vor Ort». Es macht einen Unterschied ob ich jemandem den Weg auf Google Maps erkläre oder aus meiner eigenen Erinnerung, denn wer einen Ort selbst besucht hat weiss, welche Landschaftsmerkmale einem tatsächlich zur Orientierung vorliegen und welche nicht. Auch sagen uns Satellitenbilder nur wenig über das Verhältnis von Distanz und Zeit aus, was zur Planung von Ausseneinsätzen essentiell werden kann. Reicht der Sauerstoff für die gesamte Strecke aus? Werden die Astronauten noch kräftig genug für den Rückweg sein? Ein Gefühl dafür zu bekommen, welche Distanzen in welcher Zeit in einem Raumanzug ohne Ermüdungserscheinungen zurückgelegt werden können, war ein Ziel von GeoReMap. Und dieses haben wir leider verfehlt. Es war den Astronauten nicht möglich das gesamte Areal zu besichtigen, weshalb die EVAs nicht die volle Zeit in Anspruch nehmen konnten.
Erfreulicherweise traten keinerlei technische Probleme während beider Ausseneinsätze auf, weder spielte die GeoTracking App verrückt, noch der Funk und es ging auch keine Person im Gelände verloren. Die Messdaten der App liessen sich problemlos in ArcGIS öffnen und visualisieren und mit den über Funk übermittelten Landformbeschreibungen ergänzen, somit konnten wir eine geomorphologische Karte erstellen.
Etwas problematischer gestaltete sich die Klassifikation des Areals anhand des Levels der physiologischen Anstrengung aufgrund eines Planungsfehlers. Aus den Daten und Protokollen liess sich nicht eindeutig rekonstruieren, welches Level die Astronauten für welchen Teilabschnitt des Weges angegeben hatten, weil wir in den Instruktionen die Anweisung vergessen hatten die Uhrzeiten der jeweiligen Meldungen der Astronauten zu protokollieren. Da sich die Reihenfolge der Wegpunkte aufgrund der Landschaft geändert hatte, die neue Reihenfolge nicht eindeutig protokolliert wurde und die Datensätze der beiden Smartphones der Astronauten zeitlich nicht exakt übereinstimmten, war es uns nicht möglich den einzelnen Abschnitten ein Level zuzuordnen. Jedoch bedeutet dies nicht einen generellen Fehlschlag unserer Methodik sondern offenbart gewisse Schwachstellen in der Vorbereitung und Planung. Mit exakteren Anweisungen und genaueren Vorgaben zum Protokoll hätten sich diese Fehler vermeiden lassen, woraus wir für kommende Missionen lernen können.
Mittels der aufgezeichneten Höhendaten war es uns möglich ein digitales Höhenmodell durch Interpolation in GIS zu erstellen und damit Aufschluss über das Gefälle zu erhalten. Aufgrund gewisser Messunsicherheiten variierten die Höhenangaben von einem Punkt zum anderen teils gravierend was vermutlich auf die unzureichende Präzession von Smartphones zurückzuführen ist. Auch ist die räumliche Verteilung der Messpunkte zu ungleichmässig ausgefallen um ein 3D Höhenmodell des gesamten Areals zu erstellen. Trotzdem kann festgehalten werden, dass der Ansatz im Kern funktioniert hat und wir nun um die neuralgischen Punkte wissen.
Fazit
Den «Grossen Wurf» der planetaren Geomorphologie haben wir natürlich nicht gelandet, was auch nicht unser Ziel war, wohl aber mit dem ersten Entwurf einer für Astronauten ausgelegten geomorphologischen Kartieranleitung einen Akzent gesetzt. Für das Studium extraterrestrischer Landschaften können Astronauten ohne die umfangreiche geowissenschaftliche Ausbildung eines Hochschulstudiums relevante Informationen und Daten erheben, unter der Voraussetzung eines spezifischen Trainings und an die besonderen Bedingungen angepassten Methoden zur Bestimmung von Landformeigenschaften und der Orientierung im Feld. Natürlich müssen wir bedenken, dass das hier vorgestellte LCS für ein geomorphologisches Kartiersystem einen äusserst reduzierten Umfang bietet und sich nicht auf eine quantitative sondern qualitative Beschreibung von Landschaftselementen beschränkt. Da GeoReMap vor allem darauf abzielte die allgemeine Vorgehensweise bei Ausbildung, EVA Planung, Datenerhebung und Auswertung zu testen, stellt dies kein Problem dar. Wir wollten aufzeigen, dass Astronauten stellvertretend für einen Geographen Informationen über eine Landschaft erheben können, was funktioniert hat.
Von technologischer Seite haben wir die Tauglichkeit der eigens von BlueSat für uns entwickelten GeoTracking App demonstriert und verfügen nun über ein an unsere Bedürfnisse angepasstes Werkzeug der Geodatenerhebung.
Ich möchte mit diesem Artikel für die moderne Analogforschung werben, die durch die zahlreichen Experimente die während Asclepios I durchgeführt wurden auf eine neue Stufe gehoben wurde. Asclepios I ist ein Paradebeispiel dafür was Analogforschung ausmacht, dass aus Kreativität, Engagement, Fleiss und Zusammenarbeit Grosses entstehen kann. Eine Gruppe Studierender hat ein Unterfangen auf die Beine gestellt, das an Professionalität seinesgleichen suchen kann. Dutzende Freiwillige haben ihre Freizeit geopfert um ihrer Leidenschaft nachzugehen, haben nächtelange Meetings abgehalten und Verantwortung übernommen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Universitäten wie hier in Basel oder die EPFL Lausanne bieten ambitionierten Studierenden den Freiraum den sie für ihre persönliche Entfaltung brauchen, und fördern das eigenständige und kreative Forschen statt es durch ein verschultes Bildungssystem abzuwürgen. Für Jungforschende ist ein förderliches universitäres Umfeld der Nährboden ihrer Zukunft und in ihrer Bedeutung weitreichend, sind wir doch schliesslich die nächste Generation Forschender. Im 21. Jahrhundert ist Vernetzung das A und O, man kann nicht früh genug damit beginnen Kontakte zu Forschenden aus anderen Disziplinen, Ländern oder Kontinenten aufzubauen. Analoge Weltraumforschung verbindet letztlich Menschen, bringt sie zusammen und lässt aus neuen Kooperationen spannende Projekte entstehen. Das ist es was Asclepios auszeichnet und bewog mich 2017 dem ÖWF beizutreten. Ohne das ÖWF wäre es nie zum Kontakt zwischen Asclepios und mir gekommen, hätte GeoReMap vielleicht nie existiert. Viel wichtiger sei jedoch zu erwähnen, dass das ÖWF beim Aufbau von Mission Asclepios mitgeholfen hat und den Organisatoren in Lausanne mit der reichen Erfahrung der letzten Jahrzehnte Analogforschung mit Rat und Tat zur Seite stand. In anderen Branchen wäre es undenkbar, dass potentielle Konkurrenten einander unter die Arme greifen. Doch ein solches Konkurrenzdenken gibt es in der Analogforschung nicht.
Ich selbst bin dankbar für die Erfahrung Leiter eines internationalen und interdisziplinären Forschungsprojekts für zwei Jahre gewesen zu sein. Während dieser Zeit habe ich gelernt Verantwortung zu übernehmen und abzugeben, Teams zu formieren und ozeanübergreifend mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten. Gibt es etwas schöneres, als mit Gleichgesinnten ein gemeinsames Ziel zu verfolgen? Bei Asclepios habe ich zahlreiche andere hochmotivierte und engagierte Jungwissenschaftler kennengelernt und neue Freundschaften geknüpft, die bis weit nach der Mission anhalten werden. Jedem der darüber nachdenkt sich selbst in der Analogforschung einzubringen, sei es als Mitglied des ÖWF oder durch eigene Forschung, sei gesagt: zögere nicht vor dem ersten Schritt, du wirst es nicht bereuen! Denn die Analogforschung geht dorthin, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist.
Zur Person: Ich habe Geowissenschaften an der Universität Basel mit dem Schwerpunkt Physiogeographie studiert. Meine Bachelor- und Masterarbeiten verfasste ich über den Einfluss reduzierter Gravitation auf Sedimentationsprozesse auf dem Mars im Rahmen von MarsSedEx. Seit 2017 bin ich Mitglied im ÖWF, habe im RSS Team mitgearbeitet und leite seit 2019 das GeoReMap Projekt in Zusammenarbeit mit Asclepios und BlueSat.
Das GeoReMap Team umfasste: Prof. Nikolaus Kuhn, Lukas Powollik, Vincent Schneider, Astrid Rutzer.
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