2022
Der Flight Director (FD), genauer ein Flight Director-Team, war für den Gesamtbetrieb der AMADEE-20-Mission verantwortlich. Während der Mission bzw. Simulationsvorbereitung stellte der Flight Director zusammen mit der Missionsleitung sicher, dass die Ressourcen des Mission Support Centers (MSC) und der unterstützenden operativen Teams für die Durchführung des Missionsbetriebs ausreichten. Im Oktober 2021 war ein designierter Flight Director während der gesamten Mission 24 Stunden am Tag auf Abruf.
Im 4. Interview unserer Rückschau auf die AMADEE-20 Mars Simulation blicken wir mit den Flugdirektoren Reinhard Tlustos und Guillaume Thirion zurück.
War für euch die Zeit der Vorbereitung auf die Mission oder die Missionsphase an sich arbeitsintensiver? (Welche Zeit war nervenaufreibender?)
Reinhard: Die Vorbereitungsphase war über einen langen Zeitraum arbeitsintensiv, während die Einsatzphase jeden Tag arbeitsintensiv war, d. h. früh aufstehen und spät ins Bett gehen, und dazwischen immer etwas zu tun.
Ich würde sagen, dass die Vorbereitung an sich eine größere Herausforderung war, auch wegen der Verschiebung des Zeitplans aufgrund der Covid-Lockdowns. Sobald die Mission begann, war eine gewisse Erleichterung zu spüren – wir haben alles getan, was wir konnten, um uns vorzubereiten, und so konnten wir die Mission durchführen. Die Rakete hatte sozusagen abgehoben. Das heißt nicht, dass wir während der Mission keine schwierigen Situationen hatten, aber mit den Teams auf dem „Mars“ und der Erde haben wir sie gemeinsam gemeistert.
Wie hält man im Mission Support Center bei den vielen Teams die Konzentration hoch?
Guillaume: Schulungen, das Vertrauen in das Flight Control-Team (FCT) und in die anderen MSC-Teammitglieder, die Anwendung von Standardverfahren und ein guter Kommunikationsfluss trugen dazu bei, die Konzentration im MSC hoch zu halten. Dank all dieser Punkte hatten wir einen reibungslosen Informationsfluss und konnten uns auf die aktuellen oder zukünftigen (um 10 Minuten verzögerten) Aufgaben konzentrieren.
Reinhard: Das Gute daran war, dass ich auch als Flight Director nicht allein war. Ich hatte meine FD-Kollegen, die übernahmen, und ein hervorragendes MSC-Team, mit dem ich zusammenarbeiten konnte. Wir waren in der Lage, flexibel zu handeln und die Arbeit nach Bedarf aufzuteilen. Das bedeutete, ich konnte mich darauf verlassen, dass meine Kolleg*innen eine Situation meisterten, während ich mich auf ein anderes Thema konzentrieren musste.
Was ist zum Ausgleich nötig, sodass neben der Konzentration auch die Laune auf einem sehr gut verträglichen Level bleibt? Gab es für die Teammitglieder die Möglichkeit sich zurückzuziehen?
Guillaume: Es war wichtig, zu erkennen, wann die Teammitglieder eine Pause brauchten, und sei es auch nur eine Mikropause. Wenn es dann möglich war, die Arbeitsbelastung und den Konzentrationsgrad zu verringern, hatten wir den Druck gemildert, indem wir ein Flight Control-Teammitglied nach dem Zufallsprinzip gebeten hatten, einen weltraumbezogenen Witz zu finden. Während AMADEE-20 war es auch möglich, dass Teammitglieder darum baten, sich zurückziehen zu können.
Die täglichen MSC-Nachbesprechungen und das damit verbundene Klatschspiel trugen ebenfalls dazu bei, sich als ein Team zu fühlen und die gute Stimmung zu verbreiten. Ich habe in solchen Momenten nur Lächeln bei den MSC-Mitgliedern gesehen. Wenn es der Zeitplan zuließ, wurden auch gemeinsame Aktivitäten wie Karaoke, Wanderungen oder gemeinsames Kochen und Essen organisiert. Eine besondere Erwähnung verdient unser Human Factors-Team, die wirklich zur guten Atmosphäre während der AMADEE-20-Mission beigetragen haben.
Wie herausfordernd war die Arbeit in der Zeitverzögerung Erde-„Mars“ (also Negev Wüste) während der Simulation? Was musste alles beachtet werden?
Reinhard: Das ist die eine Sache, die immer eine Herausforderung ist, egal wie viel man darüber nachdenkt oder wie viel Erfahrung man hat. Die größte Herausforderung besteht darin, dass über den zeitversetzten Textchat mehrere Gesprächsthemen gleichzeitig laufen, die sich teilweise über Stunden oder sogar Tage hinziehen, bis sie gelöst sind. Es ist schwer, den Überblick zu behalten, vor allem, weil sowohl die Erde als auch der „Mars“ gleichzeitig an den Themen arbeiten, die Ergebnisse aber erst zeitverzögert eintreffen. Mehr als einmal hat die MSC-Besatzung eine Lösung gefunden, die übermittelt wurde, nur um in der Zwischenzeit vom „Mars“ die Nachricht zu erhalten, dass eine andere (oder dieselbe) Lösung gefunden und umgesetzt wurde. Manchmal läuft die Arbeit parallel und es gibt nichts, was man tun könnte. Das ist frustrierend, aber genau das ist der Grund, warum wir es tun, um ein besseres Verfahren zu entwickeln, um mit der Zeitverzögerung umzugehen und die Kommunikation zu verbessern.
Guillaume: Mars Analog-Missionen sind international, interkulturell und interdisziplinär. Menschliche Faktoren spielen dabei eine wichtige Rolle. Um zu kommunizieren, ist nur eine Sprache offiziell: Englisch. Da viele Teilnehmer keine englischen Muttersprachler sind, treffen unterschiedliche Kulturen aufeinander (z. B. Sprachbarriere, unterschiedliche Akzente, Gestik, Körpersprache). Während des Einsatzes arbeiten und kommunizieren mehrere Teams gleichzeitig und müssen unter Stress, Druck und Isolation kommunizieren. Da Menschen mit Stress unterschiedlich umgehen, wirkt sich dieser Stress auf ihre Kommunikation aus und Informationen können verloren gehen. Auch Emotionen können die Botschaft anders vermitteln und sich auf die Information und die Reaktion auf diese Information auswirken. Aus diesem Grund sind klare und prägnante Botschaften erforderlich. Letzte Herausforderung: Textnachrichten können bei der Zeitverzögerung und der Qualität der Kommunikation helfen, aber ihnen fehlt es oft an Emotionen und sie können falsch interpretiert werden.
Neben der Arbeit eines FD gab es auch Öffentlichkeitsarbeit wie Pressetermine im MSC. Gab es Phasen, in denen du, Reinhard, gerne einen Klon gehabt hättest?
Reinhard: (Lacht) – Klar, vielleicht keinen Klon, aber eine Projektion meines Bewusstseins, die es mir ermöglicht, an mehreren Orten gleichzeitig zu sein.
Aber ich glaube ernsthaft, ein Reinhard reicht. Ich bin froh, dass, wenn ich den Flugkontrollraum verlasse, um mich um einen VIP- oder Pressebesuch zu kümmern, meine Kollegen nahtlos einspringen. Wir sind auf einer Ebene, auf der ein paar Worte oder sogar nur eine Geste ausreichen, um uns untereinander abzustimmen. Diese Momente, in denen gleichzeitig viel los ist, aber alles von uns als Team gehandhabt wird, sind die Momente, die ich am meisten genieße.
Wart ihr nach der Mission erleichtert und froh, dass alles zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht wurde und habt euch gleich den nächsten Projekten gewidmet oder seid ihr eher in ein Loch gefallen? Plötzlich gab es ja wieder freie Zeit… ;)
Guillaume: Nach der Mission war ich sehr stolz auf mein Team und habe mich sofort an die Lessons Lerned und deren Analyse gemacht. Ich muss jedoch zugeben, dass ich in den ersten Tagen nach der Mission das Gefühl hatte, dass etwas in meinem Alltag fehlte: Das intensive Tempo im Flugkontrollraum, die Interaktion im MSC, die Überprüfung des Flugplans, die wissenschaftliche Diskussion mit dem Remote Science Support-Team und die Kommunikation mit unseren außergewöhnlichen Analog-Astronaut*innen und GOST-Teams sind Schlüsselelemente, die den Reiz solcher Erfahrungen ausmachen.
Reinhard: Ich war erleichtert, dass die Missionsphase von AMADEE-20 erfolgreich abgeschlossen wurde. Es war höchste Zeit, und wir hatten unglaubliches Glück, dass zwischen Lockdowns und Reisebeschränkungen alles geklappt hat. Nach einer Mission gibt es immer so eine Art Dekompression, und ja, für eine (kurze) Zeit habe ich die Ruhe genossen, die Mission hinter uns zu haben. Aber nach der Mission ist vor der Mission – wir arbeiten also schon fleißig an AMADEE-24 und darüber hinaus!
Vielen Dank, Reinhard und Guillaume!
Weitere ausführliche Informationen zur Mission: https://oewf.org/amadee-20/
Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Englisch
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