2012
Berlin-Nordpol-Mars

Am 5. Mai 2012 flog ein Airbus zwölf Stunden lang über die Eiswelt der Arktis. Das ÖWF war mit an Bord.
Vom Nordpol führt jeder Schritt Richtung Süden, egal wohin. Der Pol selbst ist durch keinen Wegweiser angegeben, er ist eigentlich gar nicht da – er ist nur ein gedachter Punkt. Aber was für einer! Dieser Punkt liegt mitten in einer endlos weißen Wüste, die auf eiskaltem Wasser schwimmt.
Es ist der 5. Mai 2012, als pünktlich um acht Uhr morgens ein Airbus A-330-200 auf die Startbahn des Berliner Flughafens Tegel einbiegt. Schubhebel nach vorne: Beschleunigung, Höhenruder nach oben, Take-off. Bis dahin: alles Routine. Spätestens ab Erreichen der Reiseflughöhe ist es mit der Routine aber vorbei: für das Kabinenpersonal, auch für die Cockpit-Besatzung, und erst recht für die mehr als zweihundert Abenteuerlustigen, die eine Reise vor sich haben, die sie nie vergessen werden.
Zehntausend Flugkilometer stehen bevor. Der mächtige und doch leise Airbus wird zunächst stundenlang nordwärts fliegen, über Skandinavien, über die Barentsee, über den geheimnisvollen Svalbard-Archipel, immer weiter nach Norden, über die Packeisgrenze und die beinahe unendlichen Weiten des arktischen Eispanzers, bis zum geografischen Nordpol. Von dort wird es in einer großen Linkskurve weiter nach Grönland gehen, im Tiefflug dreitausend Kilometer entlang der grönländischen Ostküste, dann Richtung Island, bevor hinter den britischen Inseln wieder das kontinentaleuropäische Festland in Sicht kommt. Heute Abend werden die Teilnehmer dieses außergewöhnlichen Nordpolfluges wieder bei einem Bier im frühlingshaften Berlin sitzen – ein Gedanke, so weit weg wie der Nordpol. Im Augenblick steigt der Airbus von Air Berlin auf seine zwischenzeitliche Reiseflughöhe, 12.000 Meter, bei minus sechzig Grad. Er wird sie bald wieder verlassen, um dann wieder aufzusteigen, um dann wieder zu sinken, einer Hochschaubahn vergleichbar. Das ist kein normaler Flug: Willkommen auf der Expedition Nordpol!
Warum fliegt man zum Nordpol? Die Frage ist natürlich so zulässig wie unzulässig. Warum fliegt man zum Mond? Warum hört man ein Konzert? Die Passagiere dieses Fluges wollen mit ihren eigenen Augen entdecken: eine der am meisten berührenden Landschaften der Erde. Sie wollen etwas Außergewöhnliches machen. Und es ist in der Tat außergewöhnlich: schon der Blick durch die Kabine. Ferngläser stehen da, Arktiskarten hängen, Winterjacken liegen im lauen Mai in den Fächern über den Sitzen, alle starren wie Kinder aus den Fenstern, beraten sich gegenseitig, laufen herum oder klettern über Sitzreihen wenn plötzlich ein arktisches Motiv tief unten auftaucht: Eisberge, tiefblaues Wasser, einsame Inseln weit jenseits des Polarkreises.
Die Flugexpedition wird von der Deutschen Polarflug organisiert. Als „Infotainer“ an Bord, der nicht nur Informationen über die Arktis, sondern auch Wissenschaft zum Nachdenken und „Aha-Erlebnisse“ liefern soll, darf ich mitfliegen (nun schon zum fünften Mal). Es bleibt auch für mich etwas Besonderes: dort zu sitzen, wo sich normalweise die Stewardessen und Stewards aufhalten, mit denselben – nach fünf Flügen ist man schon eine Familie geworden! – zu plaudern, dank eines „Cockpit-Permits“, der um meinen Hals baumelt, hinter den Piloten im Cockpit zu sitzen, und vor allem kilometerweise die zwei Gänge des Airbus rauf- und runterzulaufen um mit den Passagieren zu sprechen, ihre Fragen zu beantworten und gemeinsam Neues zu entdecken. Das macht Spaß – und ist interessant!
Drei Hauptthemen haben meine Vorträge, die ich über Bordlautsprecher aus dem Cockpit erzähle: als „Privatperson“ erzähle ich über die Arktis als Lebensraum, inklusive astronomischer Besonderheiten; als Vertreter der ESA über Erdbeobachtung aus dem Weltraum und Klimawandel, besonders dramatisch zu sehen am Beispiel des „Fieberthermometers Arktis“; als Vertreter des ÖWF schließlich über die Arktis als Versuchslabor eines zukünftigen bemannten Raumfluges zum Mars, inklusive der Geschichte von PolAres.
Apropos PolAres: Nach fünf Stunden Flug ist der geografische Nordpol erreicht. Der Airbus sinkt auf knapp 1800 Meter und legt sich elegant in eine große Rechtskurve, Antritt zur kürzesten Erdumrundung – in zwei Minuten überqueren wir alle Längengrade des Planeten. Ich erlebe diese magischen Minuten im Cockpit mit, wo der Ausblick dank der großen Seitenfenster fantastisch ist. Man möchte die Hand ausstrecken und die endlosen Eisplatten berühren, die scheinbar zum Greifen nahe sind. Darüber wölbt sich der tiefblaue Himmel. Kein Mensch ist hier am Dach der Welt (außer uns), das ist also Arktis pur. Unser Flugzeug legt sich nun nach links, um die Erde auch noch in östlicher Richtung zu umrunden. Die Passagiere sind begeistert, und dieselbe Begeisterung zeigt sich auch ganz vorne: während Kapitän Heinz sanft steuert, macht unsere erste Offizierin vom Copiloten-Sitz schnell zwei, drei Fotos fürs Familienalbum: auch für sie, wie für uns alle, ist es ein spektakulärer Ausblick.
Der Schub der Triebwerke schiebt uns wieder deutlich spürbar nach oben, es geht nun Richtung Grönland. Kurz vor Erreichen der Ostküste dieser größten Insel der Welt begeben wir uns schon wieder in den „Tiefflug-Modus“, und nun folgt ein zweistündiger Überflug über Landschaften, die eigentlich nicht von dieser Welt sind: Gletscherflüsse, türkisblaue Eisseen, bizarre Bergformationen, wieder festgefrorene Eisberge, die wie Modellbausteine aussehen; und das Erstaunlichste dabei ist die Weite: wir fliegen und fliegen, immerhin rund 700 Kilometer pro Stunde, und die Landschaft will und will kein Ende nehmen.
Der Name Arktis stammt von „Arctos“, dem Bären in alt-griechischer Sprache, und bezeichnet demnach das Land unter dem Sternbild des Bären. Das Gebiet nördlich des Polarkreises ist voll von faszinierenden astronomischen Ereignissen wie der Mitternachtssonne oder den Polarlichtern. Und auch die Passagiere sind voller Fragen: Warum es denn im Norden keine Pinguine gäbe? Ob es bemannte Drift-Stationen im Packeis gäbe? Wie spät es auf dem Nordpol wohl sei?
Der Flug mit seinen zwölf Stunden geht zu Ende. Gerade haben noch alle Eindrücke über Grönland gesammelt, das arktisch inspirierte Abendessen genossen – jetzt kommt Berlin in Sicht. Schon wieder sinkt der Airbus, aber diesmal werden Landeklappen und Fahrgestell ausgefahren, und zehn Minuten vor zwanzig Uhr ist der Nordpolflug der Deutschen Polarflug wieder zurück am Boden. Zu Hause.
Wir von der „Crew“ bleiben an Bord, bis alle Passagiere ausgestiegen sind. Eine Teilnehmerin schiebt sich mit Jacke und Fotoapparat an uns vorbei, federt mit ihren Füßen auf und ab und sagt: „Danke, danke, danke, danke, danke, DANKE!“ Da müssen wir grinsen: Mehr gibt es zu diesem Tag in einer anderen Welt nicht zu sagen.
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