2012
Weihnachten, eine Geburt da draußen

Forschung ist das Vordringen in Neuland. Wünsche werden in Gedanken gefasst, Ziele abgesteckt und mühevolle Arbeiten werden aufgenommen, um Antworten zu finden. Das Österreichische Weltraum Forum bot mir die Möglichkeit den experimentellen Anteil der Forschungstätigkeit für dieses Weihnachtsfest auch einmal in das Feld der literarisch-philosophischen Gedankenspiele zu verschieben. Der nachfolgende Text soll dabei als „philosophisch-psychologisches Kaleidoskop“ dienen und vielleicht die eine oder ander Tür ins Innere des Forschers öffnen, der sich die Umsetzung seiner Träume jeden Tag aufs Neue erkämpfen muss.
„Man muss die Welt zeitlebens mit den Augen eines Kindes betrachten“ (Henri Matisse, Maler, 1869-1954)
Es war einmal ein Astronaut. Er schwebte in seinem Mutterschiff, in einer engen Welt. Um ihn herum brummte es, surrte es, knackte es. Unwirkliche Stimmen drangen an ihn heran. Er wollte antworten, doch niemand konnte ihn hören. Wie er dorthin gekommen war, wusste er nicht. Wie lange er noch unterwegs war, wusste er nicht. Er wusste nur, dass seine Reise erst begonnen hatte …
Über Äonen hinweg wusste der Mensch, dass dort oben, wo die Sterne in der Nacht funkeln, Götter leben. Der Mensch wusste, dass dort oben im Himmel etwas war. Dass der Mensch nicht wusste, was es war, trieb ihn an. Trieb ihn an Fragen zu stellen. Unangenehme Fragen. Fragen, die ihn um Kopf und Kragen bringen konnten. Aber er stellte sie.
Man sagt, dass die Menschheit aus drei Gründen in den Weltraum aufbricht.
„Gott, Gold, Glorie!“ … die drei mächtigen „G“. Drei Begriffe, die über Jahrhunderte hinweg Triebmotor für Entdeckungen waren.
Da war der Eunuch Zheng He, der im Herbst 1405 mit 62 chinesischen Schiffen aufbrach, um die Grenzen der Welt neu zu definieren (1).
Da war Galileio Galilei, der das Teleskop „neu“ erfand und in den Himmel schaute. (2)
Da war Gil Eanes, dem jeder in Portugal zurief: „Jenseits des Kap Bojador ist das Meer voller Blut und teuflischer Bestien, die nur darauf waren Dich zu holen.“. (3)
Da war … nun man blicke interessiert in die Geschichte der Menschheit, um weitere Namen zu finden. Doch jeder von ihnen „glaubte“ an seine Definition der Wahrheit.
… und dann war da der Schmerz. Der einsame Astronaut schien am Ende seiner Reise angelangt zu sein. An seinem Bestimmungsort. Er kontrollierte den korrekten Sitz seiner Glieder. Er konzentrierte sich auf sein Ziel: „Eine neue Welt“ …
Die Wissenschaft bemüht sich Stück für Stück die Grenzen des Wissens zu erweitern. Sie stellt Fragen. Einige davon finden sich in der Disziplin der Neurotheologie wieder.
„Neurotheologie?“, fragen Sie zu Recht. „Die Suche nach Gott in unseren Genen, unserem Gehirn“, ist die Antwort für alle, die gerne Fragen stellen und die Antwort schon wissen.
Wissenschaftler wie Dr. Michael Persinger gehen davon aus, dass es möglich ist den Glauben an ein höheres Wesen mittels transkranieller Magnetstimulation nachzuweisen. (4)
Die Ergebnisse? Es gibt Menschen, die durch ihre Hirnstruktur „fähiger“ sind zu glauben, als andere. Warum? Möglicherweise entwickelte das Gehirn die Fähigkeit zu „glauben“ in manchen Individuen, um es ihnen zu ermöglichen mit Notsituationen besser umgehen zu können. Medizinmann versus Krieger. Priester versus Atheist. Erde versus Weltall?
… „Weiter, weiter, weiter!“, rotierte es wie ein Mühlenrad im Gehirn des Astronauten. Er hatte gespürt, wie sein Mutterschiff mit einem harten Aufschlag niedergegangen war. Die Systeme um ihn herum leuchteten alle in roten Farben. Er wusste, er musste hinaus an die Oberfläche, denn jede weitere Sekunde in der Kapsel konnte lebensgefährlich werden für ihn …
Februar, 1962. „Godspeed, John Glenn“, sagte Scott Carpenter, als Glenn im Orbit der Erde unterwegs war.
Weihnachten, 1968. Die Crew der Apollo 8 liest das Buch „Genesis“ live im Fernsehen, während sie über dem Mond dahintreiben.
Juli, 1969. Buzz Aldrin hält in der Mond-Landefähre eine „privat“-Kommunion. Er ist Presbyterianer, hat eine „special licence“ von seinem Glaubensoberhaupt, um es zu tun und kurz darauf ist er der zweite Mensch auf dem Erdtrabanten.
April, 1970. Präsident Nixon spricht ein Gebet für die sichere Heimkehr der Apollo 9 Crew, nachdem die Mission von Katastrophen gebeutelt dem frühen Ende nahe scheint.
Februar, 1986. Papst Johannes Paul II. spricht ein Gebet für die Astronauten, die während der Challenger-Katastrophe ihr Leben für die Menschheit zu früh aushauchen mussten.
Oktober, 2007. Scheich Muszaphar Shukor (5) ist der erste Muslim, der das eminente Problem: „Wo ist Mekka?“ löst, um seine Stundengebete zu absolvieren.
Und dann war da noch …
Ilan Ramon. Einer der bedauernswerten Astronauten, die in der Discovery-Katastrophe ihr Leben ließen. (5)
Bei dieser Explosion blieb nichts … denkt man. Nachdem die Trümmer aus 37 Meilen über unseren Köpfen zu Boden sanken, die Hitze alles verbrannte, fanden sich in Palestine, Texas, 37 Seiten des Tagebuchs von Ilan Ramon. Nass, verbrannt, niedergeworfen auf einen fremden Planeten namens Erde. Der Inhalt? Neben persönlichen Aufzeichnungen das Gebet des „Shabbat Kiddush“.
… der Astronaut bahnte sich den Weg aus seiner Kapsel. Der Schmerz war unerträglich. Er riss die schützende Hülle seines Sicherheitsanzuges von sich. Ein kreischendes Leiden kroch durch seine Luftröhre und er schrie …
In Wahrheit ist es die Frage die wir suchen, nicht die Antwort. Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Es sind die Unkonstanten des Lebens, die an uns nagen. Und dabei ist es vollkommen egal, welcher Religion, welcher Hautfarbe oder welchem Geschlecht wir angehören. Die Fragen bleiben dieseleben.
Was? Wer? Wie? Wo? Wann? Warum?
Und es ist auch egal, wo wir nach den Antworten suchen. Manche in sich selbst, andere in Büchern und wieder andere … da oben, da draußen.
In jeder Kultur gibt es Heilige. Sie starben für ihre Träume, ihren Glauben. Den Göttern sei Dank müssen wir das nicht mehr, aber man kann von ihnen eines lernen … „Wenn ich das kann, dann kannst DU das auch!“
Der Mensch kriecht aus dem Mutterleib in eine neue Welt. Der Mensch verlässt die schützende Familie. Der Mensch schafft sich die Grenzen seiner Welt mit jedem Tag.
Ich möchte hierzu eine kleine Geschichte anbringen.
Nehmen wir eine Dorfgemeinschaft im Dschungel. Nicht mehr als 50 Menschen. Man ist aufeinander angwiesen, keiner kann ohne den andern … nehmen wir aus dieser Gemeinschaft einen Krieger oder eine Kriegerin. Er/Sie ist bekannt dafür Risiken einzugehen, aber jeder weiß, dass er/sie für das Dorf schon viel geleistet hat. Er/Sie ist unentbehrlich geworden. Er/Sie wollte sich nie auf eine Beziehung einlassen … und doch tat er/sie es. Und dann kam der Moment, als der/die Liebste (ich entschuldige mich für die kurze Unterbrechung des Gedankenganges … ist ihnen aufgefallen, dass „Liebste“ hier geschlechtsneutral ist?) – krank wurde. Krieger/Kriegerin ging und befragte den Medizinmann. Der sagte: „Es gibt da draußen eine Blume. Sie blüht nur ein einziges Mal alle 100 Jahre. Es ist die eine, die Deiner Liebe Heilung bringen wird.“
Für den Krieger/Kriegerin gibt es keine Frage. „Ich werde gehen. Wer mit mir geht, gut. Wer nicht, egal. Ich glaube daran.“
Also bricht dieser Mensch auf. Er/Sie geht in den Dschungel und kommt an den Punkt, über den noch niemand hinwegschritt. Seine Begleiter zaudern, doch er geht weiter. Er/Sie geht weiter. „Die Heil-Blume wächst auf einem schrägen Abhang“, das hat der Heiler gesagt. Krieger/Kriegerin geht weiter. Er/Sie ist mit den schlimmsten Alpträumen konfrontiert. Schlangen, die ihr Gift direkt in seine/ihre Augen spritzen. Spinnen, die in der Nacht ihre Eier in seine/ihre Haut legen. Unüberwindbare Abgründe, in denen Wildwasser seinen/ihren Weg versperren … und trotzdem geht er/sie weiter. Die Begleiter drehen nach der Reihe um, nur sein/ihr Bruder ist noch mit dabei.
Nach einem schweren Aufstieg, der sie mehrfach straucheln ließ, kommen sie endlich bei der Heil-Blume an. Unser Krieger/Kriegerin pflückt sie, dreht sich voller Freude um und stößt dabei seinen/ihren Bruder vom Felsen … er fällt tief und sein Körper liegt zerschmettert zwanzig Meter tief am Erdboden. Schnell kriecht der Krieger/die Kriegerin hinunter. Der keuchende Bruder liegt am Boden und der Krieger/die Kriegerin weiß: „Ich kann ihn jetzt sofort mit dieser Blume heilen … aber zu Hause liegt meine Liebe.“
Nun … so stark kann der Glaube gar nicht sein, dass unser Held/unsere Heldin hier zu straucheln beginnt … denn er/sie ist Mensch.
So sehr wir auch glauben, so sehr müssen wir auch wissen, dass es Dinge gibt, bei der Erkundung des Unbekannten, die uns Entscheidungen abverlangen, die uns unmöglich erscheinen … doch diese Entscheidungen sind es, die uns als Menschen definieren.
… nackt lag er da auf einem weichen Untergrund. Er spürte die Wärme an seinem Rücken. Er wurde hochgehoben. Trotz der Schmerzen, zwang er sich die Augen zu öffnen, um zu sehen, um zu erkennen. Da waren jene, die wie er waren. Sie waren anders und doch gleich. Sein verschwommener Blick wanderte, auf der Suche … er versuchte sich zu verständigen, doch alles was er hervorbrachte war Geschrei …
Leid, Trauer, Angst. Wir wissen nicht was der morgige Tag für uns bringt. Wir können nur hoffen und glauben.
Ein alter Stehsatz behauptet: „Wer nichts weiß, der muss alles glauben.“ Nun, ist es denn nicht besser alles zu glauben oder besser hoffen zu dürfen, als nur einen Bruchteil zu wissen?
… sein Blick traf den eines anderen Wesens. Er spürte Wärme, Liebe und Geborgenheit. Noch immer konnte er sich nicht beruhigen, aber seine Aufgabe war nach wie vor klar in seinen Gedanken … „Ich bin nicht nur um meinetwillen hier.“ … er sah nach links und sah zwei Tiere, eines mit langen Ohren und eines mit kurzen Hörnern. Er sah nach rechts und sah ein weiteres Wesen mit lächelndem Gesicht. Er sah nach oben und sah Balken aus Holz, durch die ein Komet strahlte …
Jeden Schritt, den wir tun, eröffnet uns eine neue Welt. Jeden Atemzug, den wir machen, lässt uns ein paar Sekunden weiter leben. Jeden Traum, an den wir glauben, bringt uns alle zum selben Ziel: „Friede durch Wissen und Wissen durch das Glauben.“
Drei Dinge wüschen ich uns für diese Zeit …
Die Kraft an Träume zu glauben und sich allen negativen Einflüssen zu verschließen, um das gesetzte Ziel zu erreichen.
Analog-Astronauten, die bei der Marokko 2013 – Mission auch die Beduinen und die Menschen um sich herum fragen: „Was hältst Du davon, erzähl.“
Und ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein gesegnetes Weihnachtsfest und die Kraft an das Morgen zu glauben. Denn jeder Mensch ist ein Individuum und darin sind wir alle gleich.
Quellen:
(1) Zheng He, chinesischer Admiral und Entdecker
(4) Dr. Michael Persinger, Neurologe
(5) Sheikh Muszaphar Shukor, Astronaut
(6) Oberst Ilan Ramon, Astronaut
(c) FStummer, Innsbruck, 11.12.2012
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