2013

Liebe Leserinnen und Leser!
18 Tage sind ins Land gezogen und 18 Tage lang sind wir dem Traum „Mars-Landung“ einen Schritt näher gekommen.
Nun heißt es die gesammelten Daten sichten, interpretieren und daraus lernen. Mir bleibt nur mich herzlich bei meinen Autoren-Kolleginnen und Kollegen zu bedanken, die mit ihren wunderbaren Beiträgen diese Mission von der literarischen Seite aus begleitet und beleuchtet haben.
Denn so wie es die Praxis der Umsetzung von Ideen braucht, so sind auch die Theoretiker, die ihre Gedanken auf die Reise schicken und die dabei gewonnen Erkenntnisse mit sich zurück und dann zu Papier bringen, Grundsteinleger im Bestreben die Wissensgrenzen der Menschheit zu erweitern.
Es ist mir daher eine unverhohlene Freude als kleine Überraschung zum Abschluss die Begleitworte von Andreas Eschbach festhalten zu dürfen.
Immer wieder sahen Träumer zu den Vögeln hinauf und seufzten: „Wenn wir doch auch fliegen könnten …!“
Und immer war jemand nicht weit, der sie zur Ordnung rief, jemand, der vernünftig war, jemand, der die Welt und das Leben kannte, jemand, der sagte: „Menschen können nun mal nicht fliegen, findet euch damit ab. Es ist so, wie es ist, und Träume ändern daran nichts.“
Dann gab es einmal einen Mann namens Albrecht Ludwig Berblinger, der so sehr davon träumte, zu fliegen wie die Vögel, dass er sich Flügel baute. Als man ihn nötigte, vor Hunderten von Zuschauern und dem König zu fliegen, stürzte er elendiglich in die Donau und galt von da an als Witzfigur, genannt „Schneider von Ulm“.
„Seht ihr“, sagten die Vernünftigen den Träumern, „wir haben es euch ja gesagt. Es hat keinen Sinn.“
Dann gab es einmal zwei Brüder namens Wilbur und Orville Wright, die eine Flugmaschine bauten, die mit einem Motor ausgestattet war.
Und tatsächlich flog.
Erst ein paar Meter. Dann ein paar hundert Meter. Dann ein paar Kilometer.
Und irgendwann von Kontinent zu Kontinent.
„Natürlich kann man mit einer Maschine fliegen“, sagen die Vernünftigen heute. „Es folgt aus den Formeln. Eine reale Sache.“ Die Vernünftigen spekulieren heute mit Flugzeugaktien und tauschen Tipps, wo man Flüge am billigsten bucht.
Immer wieder sahen Träumer zu den Sternen hinauf und seufzten: „Wenn wir doch nur zu anderen Planeten gelangen könnten …“
Und immer war jemand nicht weit, der sie zur Ordnung rief, jemand, der vernünftig war, jemand, der die Welt und das Leben kannte, jemand, der sagte: „Der Weltraum ist uns nun einmal verschlossen, der Aufwand an Energie und Geld zu hoch für solche Reisen, findet euch damit ab. Es ist so, wie es ist, und Träume ändern daran nichts.“
Dann gab es eine Gruppe von Menschen, die so sehr davon träumten, zum Mars zu reisen, dass sie beschlossen, in einer Wüste, die ganz ähnlich aussah wie der Mars, zumindest schon einmal auszuprobieren, wie es wäre, dort zu sein …
Es ist, wie es ist.
Und nur Träume können jemals etwas daran ändern.
(c) 2013 Andreas Eschbach
Further Information
Ich erlaube mir diesen Gedanken zum Abschluss auch noch meine Überlegungen beizulegen und dem ÖWF für die anstehenden Projekte alles erdenklich Gute wünschen!
Von der Notwendigkeit des Prothesengottes
von Lucas Edel
[…]Es klingt nicht nur wie ein Märchen, es ist direkt die Erfüllung aller — nein, der meisten — Märchenwünsche, was der Mensch durch seine Wissenschaft und Technik auf dieser Erde hergestellt hat, in der er zuerst als ein schwaches Tierwesen auftrat und in die jedes Individuum seiner Art wiederum als hilfloser Säugling — »oh inch of nature!« — eintreten muß. All diesen Besitz darf er als Kulturerwerb ansprechen. Er hatte sich seit langen Zeiten eine Idealvorstellung von Allmacht und Allwissenheit gebildet, die er in seinen Göttern verkörperte. Ihnen schrieb er alles zu, was seinen Wünschen unerreichbar schien — oder ihm verboten war. Man darf also sagen, diese Götter waren Kulturideale. Nun hat er sich der Erreichung dieses Ideals sehr angenähert, ist beinahe selbst ein Gott geworden. Freilich nur so, wie man nach allgemein menschlichem Urteil Ideale zu erreichen pflegt. Nicht vollkommen, in einigen Stücken gar nicht, in anderen nur so halbwegs. Der Mensch ist sozusagen eine Art Prothesengott geworden, recht großartig, wenn er alle seine Hilfsorgane anlegt, aber sie sind nicht mit ihm verwachsen und machen ihm gelegentlich noch viel zu schaffen. […] aus „Das Unbehagen in der Kultur“, Dr. Siegmund Freud, 1930
Seit Jahren begleitet mich dieser Absatz aus dem Schaffen Siegmund Freuds. Jedes Mal, wenn ich ihn lese und obwohl er schon über 80 Jahre alt ist, gewinnt er für mich mehr und mehr an Bedeutung in seiner Klarheit. Als ich nun drei Wochen die simulierte Mars-Landung des ÖWF in der Wüste Marokkos miterleben durfte, wurde er mir fast zum täglichen Abendgebet.
Das Ideal, das in in jedem Menschen schlummert, der Wunsch nach Göttlichkeit. Nie waren wir ihm näher als in diesen ersten Jahren des 21. Jahrhunderts. Wir lassen sowohl unsere Stimme, als auch unsere Abbild am anderen Ende der Welt in einem Fensterrahmen (bezeichenderweise „window“ gennant) wirken, wir erheben uns in die Lüfte, um Stunden später hunderte Kilometer wieder auf die Erde niederzugehen, wir bauen Fertigteilhäuser in drei Tagen. Ich wüsste nicht, was für einen Menschen des z. B. 15. Jahrhunderts göttlicher sein könnte, als diese Fähigkeiten.
[…] Der Mensch ist sozusagen eine Art Prothesengott geworden, recht großartig, wenn er alle seine Hilfsorgane anlegt, aber sie sind nicht mit ihm verwachsen […] insisitierte Freud … nun, ich halte dagegen: Wir bestücken uns mit Cochlea-Implantaten, um Taubheit zu besiegen und Herzschrittmachern, um unser Leben zu verlängern, wir versehen uns mit neuen Linsen, um die Welt um uns wieder scharf sehen zu können, wir verbinden Gelähmte mit Computern, um ihnen einen Teil ihrer Freiheit und Menschenwürde zurückzugeben. Und vergessen wir nicht unsere fast exostotische Verbindung zu unserem Handy. Die Entfernung dieses Hilfsmittels kommt fast einer Amputation in körperlicher, psychischer und seelischer Hinsicht gleich.Und nun stehen wir wieder an einer Schwelle, die uns aus jener Umgebung, an die wir uns über Jahrmillionen angepasst haben, führen wird.
Ob das Ziel nun International Space Station oder Mond oder Mars heißt. Wir müssen den Prothesengott mitnehmen. Ausgeklügelte Roboter, wie die Rover, die als Erweiterung unserer Sinne fungieren, Anzüge, die uns erlauben unseren terrestrischen Mutterleib samt Atmosphäre mitzunehmen und Satelliten, die über unseren Köpfen jeden unserer Schritte überwachen. Sie sind unverzichtbare Bestandteile geworden.
Erlauben Sie mir den Vergleich mit einem Jäger vergangener Zeiten. Mutet es nicht interessant an, dass auch er mit einem „Jagdhund“, der ihm das Wild anzeigte unterwegs war? Dass er Verpflegung mit sich führte, um in unbekanntem Terrain nichts Falsches zu sich zu nehmen? Dass er Raubvögel abrichtete, die ihn bei dem Bestreben seine Beute zu machen von oben her mit Rufen unterstützte? Die neuen Beutetiere heißen Daten und das Jagdrevier heißt Mars.
Je früher sich der ins Weltall schreitenden Mensch seiner Prothesengöttlichkeit bewusst wird, umso eher wird er erkennen, dass der Schritt auf einen fremden Planeten nicht nur die physischen Grenzen der Menschheit erweitert, sondern wieder ein Idealbild des Menschen schafft. Unsere Neugierde ist die Suche nach dem Göttlichen in uns. Sie ist nicht abzuschalten, nicht wegzudiskutieren. Sie ist integraler Bestandteil unseres Wesens. Ein Mensch auf einem fremden Planeten ist ein neues Ideal. Es sagt: „Siehe Universum, du wirst dich deiner selbst durch uns bewusst.“
Und so bekommt der zweite Teil des „Prothesengott“-Absatzes von Freud eine bemerkenswerte Wendung, wenn er mit den Worten schließt:
[…]Er hat übrigens ein Recht, sich damit zu trösten, daß diese Entwicklung nicht gerade mit dem Jahr 1930 A. D. abgeschlossen sein wird. Ferne Zeiten werden neue, wahrscheinlich unvorstellbar große Fortschritte auf diesem Gebiete der Kultur mit sich bringen, die Gottähnlichkeit noch weiter steigern. Im Interesse unserer Untersuchung wollen wir aber auch nicht daran vergessen, daß der heutige Mensch sich in seiner Gottähnlichkeit nicht glücklich fühlt.[…] aus „Das Unbehagen in der Kultur“, Dr. Siegmund Freud, 1930
Der letzte Satz ist es, der es in sich hat und all unsere Bemühungen fast ad absurdum führt … aber eben nur fast. Es ist ein Teufelskreislauf, dem wir nicht entrinnen können. Wir steigen auf zu den Sternen, irren, versagen, kehren frustriert nach Hause, da der uns selbst versprochene Erfolg unserer Prothesen ausblieb. Doch die Neugierde, die Hoffunung, der Traum des „… es kann klappen, wenn ich dieses anders und jenes neu anpacke“, lässt uns nicht los.
Unsere Prothesen machen uns Mut, geben uns Zuversicht und erschaffen uns neu … sie machen uns zu „getriebenen“ Göttern, die durch Märchenwelten streifen müssen. Nicht einem Zwang unterliegend, sondern der reinen Neugier folgend, einem der fundamentalsten Triebmotoren. Freud nennt es „ein Recht sich damit zu trösten, dass diese Entwicklung nicht gerade mit dem Jahr 1930 A.D. abgeschlossen sein wird.“ … ich gehe weiter und sage: Es ist eine Pflicht im Jahr 2013 A. D. mit allem was wir bis jetzt gelernt haben zum Wohle der Menschheit zu forschen, mit tiefem Glauben an die Gewissheit, dass noch Großes auf uns wartet.
Und wer weiß schon, wo unsere Entwicklung enden wird? Vielleicht an einem unbestimmten Ort einer unbestimmten Zeit, an dem sich ein Prothesengott denken wird: „Mal sehen was passiert, wenn wir hier einen Urknall fallen lassen …“
Lucas Edel, Feb. 2013
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