2011
Spanien – unendliche Weiten. Die Aussicht wechselt im Minutentakt von gebirgigen, Alm ähnlichen Gegenden über saftige grüne Graslandschaften bis zu Gebieten wo man kilometerweit nichts anders sieht als Olivenhaine und Plantagen mit Steineichen. Wir fahren immer noch nach Südwesten auf den gut ausgebauten Autobahnen. Der Himmel bewölkt sich zunehmend bis wir schließlich eine Front mit heftigem Regen durchqueren. Doch es bessert sich – bei Merida scheint bereits die Sonne.
Mit einem Tankstellenstop für alle Notwendigkeiten des täglichen Reiselebens legen wir heute insgesamt nur mehr 390 km zurück. Um 11:45 sehen wir endlich das lang ersehnte Schild: Minas de Riotinto. Die Ortsbezeichnung rührt von dem durch Eisen- und Kupfervorkommen rötlich gefärbten Wasser des gleichnamigen Flusses hier. Wir fahren an einigen Seen vorbei, deren blaues Wasser zunächst unverdächtig wirkt. Zwischen der Wasserlinie und dem Ufer verläuft bei genauerer Betrachtung allerdings eine orange Linie. Sie verbildlicht uns eindrucksvoll, was wir aus der Theorie schon wissen: Alles hier hat einen extrem hohen Eisengehalt. Baden in diesen Gewässern wird nicht empfohlen, geschweige denn Trinken. Das Wasser wirkt wie Säure und verursacht Hautreizungen. Genauso wenig ratsam wäre es allerdings einen Spritzer dieser Flüssigkeit auf den Fotoapparat zu bekommen. Alles Metallische würde augenblicklich rosten.
Bis vor zwei Minuten sind wir durch eine hügelige Baumlandschaft gefahren. Nach der letzten Kurve erschließt sich uns plötzlich ein ganz anderes Bild: Ein riesiger Steinbruch, der alle Farbtöne zwischen orangebraun und dunkelrot aufweist und mittendrin die typischen Terrassen eines Bergbaus samt den dazu gehörigen Anlagen und Gebäuden. Jetzt ist es offiziell – wir sind am „Mars“. Zumindest fast. Wir warten noch kurz auf weitere Missionsteilnehmer und auf unsere Kontaktpersonen vor Ort während wir am Aussichtspunkt parken. Der 11 km lange ehemalige Minenzug-Strang entlang des Rio Tinto ist eine Touristenattraktion.
Nach einigen Minuten kommt ein blauer LKW die Straße herauf. Er hat den Eurobot der ESA geladen. Im Konvoi legen wir die letzten paar Meter zu unserer „Mars Analog Site“ zurück. Filmemacher Erich Pröll und seine Assistentin sind schon vorgefahren, um unsere Ankunft zu filmen. Die Kulisse ist atemberaubend. Wir befinden uns auf einem etwa einen halben Quadratkilometer großen nahezu kreisförmigen Gebiet das schon von weitem orange aus der Landschaft leuchtet. Der feste Untergrund ist mit einer unterschiedlich dicken Schicht aus puderartigem Sand bedeckt. Die Konsistenz des Gesteins ist auch besonders – leicht wie Lava und brüchig wie Gips.
Das Gebiet ist eben und nahezu unbewachsen. Ein loser Pinienwald an einer Stelle unseres Experimentiergebietes bietet zumindest etwas Schatten und Sichtschutz. Wir machen einen ersten Rundgang um zu entscheiden, wo unsere Zeltstadt aufgebaut wird und wie sie angeordnet sein soll. Über den rostfarbenen Boden zu laufen und im Gehen auf das bröselige Gestein zu treten, fühlt sich an als würde man über Schnee gehen, dessen oberste Schicht gefroren ist und die beim Darüberlaufen leicht einbricht.
Wir räumen erst einmal die Autos leer und beginnen mit dem Aufbau der Schlafzelte. Hämmer werden verborgt, Sonnencreme Faktor 50+ herumgereicht, Heringe krumm geschlagen. Mittendrin ein Aufschrei – die ersten Bremsen haben uns geortet. Nächster Punkt auf der Tagesordnung ist die Installation des OPS-Zelts, das ist unsere Schaltzentrale im Feld, wo wir Kontakt zu MCC haben und die Mission vor Ort überwachen. Dazu muss zuerst der Stromgenerator angeworfen werden.
Es ist heiß, Hüte und Sonnenbrillen sind Pflicht und die Lebensmittel müssen dringend aus der Hitze raus. Ein weiteres Zelt wird aufgebaut um unsere Vorräte unterzubringen. Damit wir die später auch irgendwo essen können, werden Bänke und Tische aufgestellt. In der Zwischenzeit hat ein Gabelstapler in einer gewagten Aktion den Eurobot vom LKW herunter gehievt. Wir installieren Laptops im OPS-Zelt, legen zig Meter Kabel, stellen Beachflags auf und versuchen zwischendrin eine Jausenpause unterzubringen.
Erich Pröll filmt mit eigener Schwenkvorrichtung das Innere meines Zelts während ich mit der Inneneinrichtung beschäftigt bin. Auch der 750 kg schwere Eurobot bekommt ein eigenes Zelt und wird dort von seinen eigenen Betreuern per Fernbedienung eingeparkt. Währenddessen bemerken wir einen Stromausfall in der OPS-Zentrale. Offenbar kommt der kleinere Generator mit unserem Bedarf nicht zurecht, wir müssen den größeren anwerfen
Der Wind weht ununterbrochen mit wechselnder Intensität, mehrmals fliegt mein Hut davon. Wir sind in kürzester Zeit von den Schuhsohlen bis zu den Haarspitzen mit orangem Puder überzogen.Der orange und mehligartige Sand weht uns ins Gesicht, wir atmen ihn ein, er brennt in den Augen, juckt in den Ohren und kommt uns bei jedem Niesanfall bei der Nase wieder raus.
Weitere ESA Leute kommen mit ihren Experimenten an. Ein Teil unseres Teams wird abkommandiert um in der nächstgelegenen Stadt Wasser zum Kochen und Trinken zu kaufen. Der Bedarf wird höher sein als geschätzt – wir müssen sehr viel trinken um nicht völlig zu dehydrieren. Im Verpflegungszelt gibt es auch eine Kiste mit Kartoffelchips, wir werden jedes Gramm Salz brauchen um zu ersetzen, was wir ausschwitzen
Am späteren Nachmittag kommt ein Angestellter der spanischen Telefonica mit unserer Satellitenschüssel. Damit sollte es möglich sein, eine Breitband-Internetverbindung zum MCC in Innsbruck herzustellen. Es ist geplant, eine Menge technischer Daten, Bilder und Videos zu übertragen. Um 19 Uhr gibt es immer noch keine Kommunikation mit MCC. Dafür hat die Hitze jetzt nachgelassen und dafür bekommen wir eine Einschulung für die Campingtoiletten. Wir haben schon den ganzen Tag über geübt, diese biologische Notwendigkeit möglichst zu minimieren. Es ist erstaunlich, wie groß das Fassungsvermögen der menschlichen Blase ist wenn es darauf ankommt
Eine Stunde später wird unser neuer Rover wieder zusammengebaut, den wir für den Transfer von Innsbruck zerlegen mussten. Gleichzeitig werfen wir die Gaskocher an – es wird wirklich höchste Zeit für das Abendessen, wir haben es bitter nötig. Wir produzieren Spaghetti mit Sugo in mehreren Durchgängen – was geübt sein will. Die Nudeln kleben zusammen, die Soße brennt an. Aber der Hunger siegt und unsere Gäste sind viel zu charmant um sich anmerken zu lassen, dass wir kein 4-Sterne-Restaurant sind.
Bis jeder gegessen hat, der Abwasch erledigt ist und die OPS-Zentrale für die Nacht eingemottet ist, ist es spät geworden. Wir haben Lampen aufgestellt, aber unser größter Scheinwerfer für diverse Ausflüge in die Vegetation ist der Vollmond. Mitten in einer notdürftigen Waschaktion ist gegen 23 Uhr noch eine Missionsteilnehmerin angereist. Privatsphäre gibt es hier keine und der feine Sand ist überall – auf der Kleidung, in den Laptops, in den Ohren, im Essen.
Campen mag ja auf der Erde romantisch sein, hier auf dem „Mars“, wo alles was man anfasst einen orangeroten mehligen Überzug hat, der erbarmungslos an einem kleben bleibt, ist es eher anstrengend. Es ist fast schon Mitternacht als wir erschöpft und dreckig in unsere Schlafsäcke fallen. Die entstandene Stille ist ungewohnt, lediglich ein paar Hunde bellen irgendwo in der Ferne.
Der Tag, der für uns in einem gut ausgestatteten Hotel in Talavera de la Reina begonnen hatte, endet in einem winzigen Zelt ohne jeden Komfort mitten im Nirgendwo. Ein Kontrast der mit den hier herrschenden Temperaturdifferenzen vergleichbar ist. Tagsüber wird es schweißtreibend heiß (laut Wetteranzeige 28 Grad Celsius im Schatten), nachts sehr kühl (um die 10 Grad). Aber wir sind hier und wild entschlossen, die Herausforderungen zu bewältigen – auch wenn wir uns dabei in rostrote Marsmännchen verwandeln.
Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Englisch
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