2011
Ich erwache von dem Geräusch schweren Regens. Es ist noch stockdunkel. Noch einmal tiefer in den Schlafsack kriechen und weiterdösen lohnt sich nicht, um halb sechs geht ohnehin der Wecker ab. Die Wetterprognose wagt es nämlich einen trockenen Vormittag zu prophezeien, am Nachmittag soll es schwere Gewitter geben. Wär‘ ja mal ganz was Neues.
Den Vormittag nehmen die Meteorologen wörtlich, denn bis 9 Uhr regnet es ungeniert weiter. Darauf waren wir vorbereitet und haben mit dem „Donning“ (Anziehen) des Simulationsraumanzugs schon mal im OPS-Zelt begonnen. Irgendetwas ist hier anders. Nach einer Weile komm ich drauf – es ist so sauber! Da ist gestern Abend noch ordentlich geputzt worden. Immerhin bekommen wir ja heute eine Menge Besuch und einen einzigen Vorteil hat die herrschende Feuchtigkeit: Es staubt weniger!
Es kommen einige namhafte Kamerateams angereist um uns bei der Arbeit zu filmen. In unserer relativ großen aber auch sehr vollgeräumten Kommandozentrale treten sich Kamera- und Tonleute von Pröll Film, Bayern Alpha, Discovery Channel und BBC World gegenseitig auf die Füße. Das ÖWF-Team kann heute keinen Handgriff tun, der nicht gefilmt wird – und dann bitte noch ein kurzes Interview als Erläuterung dazu. Wir freuen uns über den Andrang, auch wenn wir ständig über Kabel stolpern und in überdimensionale Objektive laufen. Wir fühlen uns ziemlich geehrt.
Als unser Anzugtester, Ulrich Luger, fast fertig angezogen ist, müssen wir nach draussen wechseln, unter ein provisorisch errichtetes Planendach, um den Hard Upper Torso mit der langen Anzugantenne aufzusetzen. Kaum sind die medizinischen Messwerte abgenommen und das Lebenserhaltungssystem angeworfen, setzt wieder heftiger Regen ein. Inzwischen wird Gernot Grömer interviewt und unser Phileas gefilmt. Der ÖWF-Rover liefert erstmals Bilder ins MCC – von der Innentür des Transporters, in dem er regensicher geparkt ist.
In der nächsten Regenpause wagt der Eurobot einen kurzen Ausflug und alle Medienleute hängen mit ihren Kameras an seinen Rädern. Das gibt uns im Zelt vorübergehend etwas mehr Luft. Der Himmel ist in verschiedenen Graustufen schattiert, mit einem hellen Punkt in der Mitte, wo wir die Sonne vermuten. Die scheint laut Wetterbericht übrigens überall in Europa – außer hier.
Donning-Status: Suit und Tester sind bereit, nur der Helm fehlt noch und der Reißverschluss der Hose klemmt. Kurz nach 11 Uhr gehen wir auf Sendung – im MCC findet gerade die Pressekonferenz statt, wo wir live per Skype zugeschalten werden. Ulrich Luger gibt ein Interview – zuerst dem MCC und dann der BBC. Kaum dass alles erledigt ist, startet der Suittester seinen Ausflug und muss nach ein paar Schritten umdrehen. Es gießt wieder und die Kameraleute haben ein neues Lieblingsmotiv – sie filmen die Wassergräben rund um das OPS-Zelt.
Gegen 15 Uhr am Nachmittag bekommen wir schließlich von Missionskontrollzentrum UND Wettergott die Erlaubnis, mit dem Experiment „Lander Inspection“ zu beginnen. Der Simulationsastronaut umrundet dabei das Modell eines Marslanders und versucht, die vorher mit Nummern markierten „Schäden“ am Gerät zu finden. Unterstützung bekommt er dabei vom ÖWF-Rover Dignity. Endlich bekommt auch der Eurobot seine Ausfahr-Genehmigung. Mensch und Roboter kooperieren bei der Aufnahme einer Last in Form einer großen weißen Box. Wenn Uli an der befestigten Box leicht zieht, folgt ihm der Eurobot in die gewünschte Richtung.
Dann darf unser heutiger Anzugträger eine Runde auf dem Eurobot drehen. Wie in einem realistischen Szenario fährt der „Astronaut“ damit zum Phileas Rover um in der Nähe eine Bohrprobe zu nehmen und auch gleich das „Contamination Vector Experiment“ durchzuführen. Zur Krönung geht’s noch in den „Rock Garden“, wo vom Simulationsastronauten und von Rover Dignity verschiedenste Gesteinsproben genommen werden. Die Medienleute kriegen sich kaum ein – soviel cooles (technisches und geologisches) Zeug auf einem Fleck gibt’s nicht oft zu sehen. Und wir schlagen bei den Feldtests gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Müssen wir auch, sonst geht sich unsere Taskliste für diese Woche nicht mehr aus.
Damit ist Ulis Auftrag aber noch nicht erledigt. Es müssen noch Werbefotos gemacht werden und alle Medienteams wollen Interviews mit ihm. Also verkündet er zum x-ten Mal, wie er sich im Anzug fühlt und wie fit man sein muss um ihn zu tragen. Was das Exoskelett eigentlich ist, welche Experimente wir planen und was wir damit erreichen wollen. Und natürlich, wie das so ist, den Eurobot zu fahren. Kommentar Uli: „Das ist echt der Hammer! Was das Gerät alles kann und wie sanft die Steuerung reagiert, ist total erstaunlich. Und es ist wirklich eine Ehre, mit diesem 1,5 Millionen Euro teuren Fahrzeug arbeiten zu dürfen.“ Auch vom Eurobot-Team ist er schwer beeindruckt. Die auf Nachfrage vorgeschlagenen Änderungen an den Rückspiegeln werden in kürzester Zeit umgesetzt.
Abgesehen davon ist es tröstlich zu wissen, dass auch ein so großes, teures Gerät mit ähnlichen Eigenheiten zu kämpfen hat wie unsere eigene Hardware. Detail am Rande: Der Eurobot wird mit einer Art Joystick gesteuert und hat einen Deadman-Button, den der Fahrer ständig gedrückt halten muss. Als jemand „Stop!“ ruft, lässt Uli den Knopf etwas abrupt los. Eigentlich wollten die Techniker ihm nur signalisieren, dass jetzt eine neue Aufgabe ansteht. Ulis Eindruck war ein anderer: „Ich dachte schon, ich hätte etwas überfahren!“ Eine ziemlich amüsante Vorstellung, wenn man weiß, dass der Eurobot nicht gerade ein Formel 1 Auto ist.
Es ist auch im MCC ein langer Tag, der mit einer Abendveranstaltung in der Wagnerischen Buchhandlung enden soll. Auch dafür werden wir gegen 20:30 Uhr noch einmal live zugeschaltet. Diesmal stecken wir Daniel in den Anzug um Grüße nach Innsbruck zu senden. Dann haben wir es geschafft. Die Medienleute sind abgezogen und wir können durchschnaufen.
Spät am Abend schaut noch ein Besucher rein. Der spanischer Fotograf Juan Carlos Casado wird Nachtaufnahmen für das Projekt TWAN machen („The World at Night“, https://www.twanight.org). Es bleibt ihm zu wünschen, dass er ein Loch in der Wolkendecke findet…
Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Englisch
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