2011
Interview: Dr. Barbara Imhof, Liquifer
Dr. Barbara Imhof, Mitbegründerin, Geschäftsführerin, Projektleiterin, Architektin von LIQUIFER Systems Group, Polarsternpreisträgerin 2011, Wien, gewährt uns hier interessante und detailreiche Einblicke in das Thema Design von Weltraumhabitaten. Einen Teil ihrer langjährigen Erfahrungen in einer Vielzahl von Designprojekten bei der NASA und für die ESA sowie Lehrtätigkeiten an verschiedenen internationalen Universitäten teilt sie im folgenden Interview mit uns.
ÖWF: Haben Sie schon viele Habitate designt?
Im Laufe der letzten 15 Jahre, in denen ich mich mit dem Weltraum beschäftigt habe, habe ich schon einige “Habitate” mit-designt. “Mit-designt” deshalb, weil man ja immer im Team arbeitet und die eigene Leistung als Teil eines Ganzen gesehen werden muss. Besipiele für solche Habitate wären eines für die Marsoberfläche, ein sogenanntes “Surface-Habitat”, mobile Habitate wie beispielsweise ein Raumschiff für den Mars und ein mobiles Forschungsfahrzeug für den Mond und den Mars. In meiner langjährigen Lehrtätigkeit an Universitäten war ich an der Entwicklung von vielen Weltraumhabitaten beteiligt, für Umgebungen, wie den Mond, den Mars oder die Schwerelosigkeit.
Habitat kommt vom lateinischen Wort habitare „wohnen“ und bedeutet auch die Wohnstätte, Wohnort oder Lebensraum. Als Architektin habe ich natürlich noch viel mehr solche Lebensräume oder Wohnorte für Menschen entworfen oder gebaut.
ÖWF: Circa wie viele Gespräche mit wie vielen Fachleuten müssen geführt werden, bevor Sie an das Design herangehen können?
Die Teams oder Firmenkonsortien, in denen wir arbeiten, beinhalten meistens alle Fachdisziplinen, die für die Entwicklung eines Habitats notwendig sind. Jene Fachleute bilden einen wesentlichen Bestandteil der Teams, sind also ständig am Entwicklungsprozess beteiligt. Was im Vorfeld geklärt werden muss, ist unter anderem die Zusammensetzung des jeweiligen Teams wobei es zu berücksichten gilt, dass große Teams in ihrer Kommunikation auch sehr schwerfällig werden können. Die Disziplinen, die für uns als ArchitektInnen und DesignerInnen unbedingte Partner darstellen sind auf einer Strukturebene die SystemingenieurInnen und auf der Detailebene die Disziplinen der sogenannten Human Factors wie Ergonomie oder auch Physiologie, Soziologie und Psychologie.
ÖWF: Findet ganz zu Anfang eines Projektes ein Brainstorming mit weißen Blättern statt?
Weiße Blätter kommen öfter im Designprozess vor, dennoch ist das Gehirn kein unbeschriebenes Blatt. Zudem kann man sich auf vorhergehende Projekte beziehen, die man nach einer Erstrecherche zur Grundlage des Brainstormings erklären kann. Wir führen aber auch erste Diskussionen mit unseren Arbeitspartnern über Skype und E-Mail, deshalb gibt es danach verschiedenes Material, das den Beginn eines Entwurfs darstellt.
ÖWF: Können Sie auf Erfahrungswerte von der MIR und der ISS zurückgreifen?
Durch meine Arbeit bei der NASA am Johnson Space Center Ende der 90er Jahre kann ich auch auf Erfahrungsberichte von Astronauten zurückgreifen, die damals auf einer sechs-monatigen Shuttle-Mir Mission waren. Die Internationale Raumstation ist sehr gut im Internet dokumentiert und wir haben auch sehr gute Beziehungen zu einigen Astronauten, die uns Erfahrungsberichte aus erster Hand liefern. Insofern können wir auf Erfahrungswerte beider Raumstationen zurückgreifen.
ÖWF: Wie groß darf ich mir ein Team vorstellen, dass ein zukünftiges Habitat designt?
Das Team, das ein zukünftiges Habitat auf dem Mond und auf dem Mars baut, wird nahezu unüberschaubar groß sein, wollte man alle ins Projekt involvierten Personen, wie es etwa in einem Filmabspann üblich ist, nennen. Zudem würden bei so einem Projekt eines Habitats viele Länder mitarbeiten.
Die wichtigsten Disziplinen wäre hier wohl: Missionsanalyse, Sicherheitstechnik und Risikoanalyse – hierbei geht es beispielsweise um den Schutz vor Strahlung – Systemingenieurswesen, thermische Faktoren, Struktur, Konfiguration und Design von Modulen, Lebenserhaltende Systeme, Kommunikation, Human Factors (Bewohnbarkeit, Ergonomie etc.), Physiologie, Psychologie, Astrobiologie für die Oberflächenerkundung, Instrumente, Programmatik, Telemetrie und Landung, operationelle Angelegenheiten, Mensch-System-Integration, Simulation und Tests, Kostenkontrolle, Marketing und Vermittlung
Für verschiedene Phasen eines Projektes bräuchte man mindestens eine Person pro Fachgebiet und je weiter es in Richtung Umsetzung geht, desto mehr Menschen wären nötig, um so ein Projekt gelingen lassen zu können.
ÖWF: Wie viele Arbeitsstunden stecken in so einem Projekt?
Wie vorhin beschrieben, werden so die Arbeitsstunden fast unzählbar. Durch die notwendige Kommunikation zwischen den vielen SpezialistInnen muss man eine normale Arbeitsstunde sicher um das 1,5 fache erhöhen, wenn nicht verdoppeln. Eine andere in der Architektur gebräuchliche Methode ist, das Budget zu fixieren und zu sagen, damit muss ein Habitat für den Mond gebaut werden. Damit wären natürlich noch nicht die Kosten des Transports gedeckt, der vielleicht noch einmal soviel oder sogar mehr als der Bau des Habitats kostet.
ÖWF: Gehen Sie beim Design eines Habitats für den Langzeitaufenthalt im All (Reise von der Erde zu Planet x, wir können gern vom Mars ausgehen) anders heran als beim Design eines feststehenden Habitats für den Mars?
Eine Reise in einem Raumschiff würde unter Schwerelosigkeit erfolgen. Dieser sehr spezielle Zustand kennt kein oben und unten und wir sind schwerelos, können von einem Raumbereich in einen anderen schweben. Normale Alltagsgegenstände, wie Tische, Sessel, Betten sind unnütz und widersprechen dem Paradigma von einem schwerelosen und gänzlich dreidimensional erfassbaren Raum. Es ist ein bisschen wie beim Tauchen, wo man kopfüber den Steilhang eines Felsens unter Wasser hinuntertauchen kann. Das heißt, Schwerelosigkeit unterscheidet sich ganz grundsätzlich von der Umgebung einer planetaren Oberfläche. Für den befahrbaren Raum zwischen den Planeten braucht man ganz andere Innenräume und man muss alles, was man bisher über Schwerkraftumwelten weiß außer Acht lassen können. Das ist eine sehr spannende Entwurfsaufgabe.
ÖWF: Was waren für Sie die interessantesten/coolsten/überraschendsten Erkenntnisse bei Ihren Projekten?
Drei Dinge wären hier zu nennen:
- Entwerfen für die Schwerelosigkeit.
Hierbei spielt wirklich diese unglaubliche Umgebung und das Neudenken von allem, was mit Design zu tun hat eine Rolle. Wie können Räume entworfen werden, in denen man sich schwebend weiterbewegt? Man braucht hier keine Stiegen, die Horizontalebene, auf der wir uns normalerweise geschoßweise bewegen, ist nicht nötig. Runde Formen sind besser, weil man sich nicht verletzt, wenn man sich mit den Füßen, die man ja nicht im Gesichtsfeld hat, an Einrichtung oder Wandkanten stößt.- Arbeiten in internationalen und interdisziplinären Teams.
Das, was ich von meiner Kindheit gewohnt bin, mit Menschen aus aller Welt zu kommunizieren, habe ich in mein Arbeitsleben gebracht. Es ist eine Herausforderung mit immer wiederkehrender Selbstermahnung zu Toleranz und Verständnis.- „Change of The Right Stuff“: The Right Stuff, das waren die ersten Astronauten; weiß, männlich und mit militärischem Hintergrund. Das hat sich geändert und aus Erfahrung kann ich sagen, dass es sich bei den AstronautInnen, und Kosmonauten, die die Internationale Raumstation bewohnen, um Menschen handelt, die zwar eine ähnliche Geisteshaltung besitzen, aber sonst sehr unterschiedlich agieren. Die Geschichten, die sie aus dem Weltraum erzählen können, sind eine der Grundlagen, auf die wir beim Entwurf von Weltraumhabitaten angewiesen sind.
ÖWF: Wie testen Sie ihre Designvorschläge auf „Alltagstauglichkeit“? (Ausschließlich durch Simulationen oder werden Teile auch nachgebaut?)
Die meisten Entwürfe testen wir in der Simulation, wobei hier die virtuellen im Computer von den realen auf der Erde zu unterscheiden sind. Unser mobiles Forschungsfahrzeug RAMA (Rover for Advanced Mission Applications) haben wir nur im Computer simuliert; besonders interessant war hierbei die Simulation der transformierbaren Möbel der Innenräume. Immer wieder suchen wir das Feedback durch Experten, um eine kontinuierliche Verbesserung unseres Designs schaffen zu können.
Unseren Astronautenschlafsack haben wir mit erfahrenen Astronauten auf der Erde getestet und einen flugfähigen Prototyp hergestellt.
ÖWF: Gibt es Gegenstände, die auf der Erde völlig anders genutzt werden als z. B. in einem Habitat auf dem Mars? Gab es da Überraschungen?
Aus Erfahrungsberichten von Besatzungsmitgliedern weiß man, dass bestimmte Dinge oder Einrichtungsgegenstände zweckentfremdet werden. Die Dusche auf der Mir war sehr umständlich aufzubauen, eine zylinderförmige Plastikkabine mit einem Wasserschlauch. Nach einer Duscheinheit, bei dem man Wasser nur in großen Tropfen auf einen Schwamm mit Seife und dann auf die Haut reiben konnte, musste man die Dusche wieder säubern. Da Wasser in der Schwerelosigkeit nicht fließt, war das Duscherlebnis nicht besonders und nur zeitaufwändig. So haben die Kosmonauten eine Art Dampfsauna aus dieser Dusche gemacht, was in der Schwerelosigkeit besser funktioniert. Auf der Internationalen Raumstation gibt es keine Dusche mehr, nur noch warme feuchte Tücher, um sich zu reinigen. Man muss sich einfach vorstellen, dass man auf einer Raumstation immer auch improvisieren muss, da man fehlende Ersatzteile ja nicht einfach besorgen kann. Schon allein deshalb werden Gegenstände zweckentfremdet. Prinzipiell sind Möbel, die transformierbar sind und Räume, die multifunktional sind besser für eine Weltraummission geeignet, als solche, die diese Eigenschaften nicht besitzen. Nicht umsonst können AstronautInnen persönliche Gegenstände wie Taschenmesser oder Scheren mit sich führen, welche vielgenutzte Werkzeuge sind.
ÖWF: Bedenken Sie beim Design hauptsächlich die Zweckmäßigkeit oder achten Sie auch auf kleine Annehmlichkeiten? (Hierbei denke ich an die fast nicht vorhandene Privatsphäre außer in Schlafkojen z. B. oder an eine Runde Kartenspielen mit allen Crew-Mitgliedern. Je nach Bedarf sind andere Platzverhältnisse gefragt, der Raum ist jedoch äußerst begrenzt.)
Ein wichtiger Teil der Arbeitsaufgabe von ArchitektInnen und DesignerInnen besteht darin, für Menschen Umgebungen zu entwerfen, in denen man sich auch wohl fühlt. In einer ökonomisierten Welt kann man das sehr gut dadurch argumentieren, dass man Performanceerhalt und gute Arbeitsleistung an eine entsprechende Umgebung knüpft. Das beweisen schon sehr viele große internationale Firmen wie Google und Microsoft, die Arbeitswelten entwerfen lassen, in denen man sich wohlfühlt. Für die Raumfahrt ist das besonders wichtig, da es sich hier um das Leben unter extremen Bedingungen handelt. Damit eine Mission zum Mars erfolgreich ist, muss der Innenraum eines Raumschiffes entsprechend gestaltet werden und jedem Besatzungsmitglied eine eigne Privatsphäre und Kabine zugänglich sein. Wir leben auf der Erde in einer Welt mit vielfältiger sensorischer Stimulation. Wenn wir lange auf einer Raummission sind, brauchen wir in einer Raumstation, einem Raumschiff oder Habitat ebenfalls eine Annäherung an diese komplexe sensorische Simulation, damit wir in sozio-psychologischer Hinsicht fit bleiben können. Besonders mit Techniken der Virtual Reality lassen sich hier gewichtsfrei viele Ideen umsetzen, beispielsweise leicht handhabbare Lichtsteuerung, virtuelle Fenster zur Erde und virtuell-reale interaktive Kommunikation mit Freunden und Familie zuhause.
Ganz herzlichen Dank, Frau Dr. Imhof, für die ausführliche Beantwortung der Fragen, Sie haben mir das Interview sehr leicht gemacht. :-)
Wer sich noch weiter über die Projekte von Liquifer informieren möchte, dem sei die Webseite empfohlen: www.liquifer.at
- Tagged:Architektur, Barbara Imhof, design, Interview, Liquifer, Polarsternpreis
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