2012
Deputy Flightplanner für das Großprojekt MARS2013 Alejandra Sans und Sebastian Hettrich geben uns Einblicke in ihre Arbeit beim ÖWF.
Wie seid ihr zum ÖWF gekommen? Seit wann seid ihr dabei und was macht ihr beim ÖWF?
Alejandra: Ich war als Student in Gernots Vorlesung „Planetologie des inneren Sonnensystems“, wo er unter anderem auch für das ÖWF geworben hat. Ich habe danach mit ihm gesprochen und ihn gefragt, ob ich meine Masterarbeit in Planetologie bei ihm machen könnte. Nach einigen Monaten bot er mir an, meine Masterarbeit als Flight- und Traverse-Planner für die Dachstein Mars Simulation 2012 zu machen, was ich dann auch gerne angenommen habe. Beim ÖWF aktiv dabei bin ich seit Januar 2012 und bin seitdem mit Flight-Planning und vor allem mit dem Traverse-Planning beschäftigt.
Sebastian: Bei mir war es ähnlich, auch ich habe als Student Gernots Planetologievorlesungen beigewohnt und bin dann schließlich ebenso beim Flight-Planning gelandet. Mitglied geworden beim ÖWF bin ich im November 2011 und habe zusammen mit Alejandra beimFlight-Planning für Dachstein mitgearbeitet sowie auch selber bei etlichen Workshops im Suitlab Hand angelegt bei Arbeiten am Anzug.
Was sind Flight Planning und Traverse Planning?
Flight Planning ist im Prinzip nichts anderes als einen Stundenplan zu erstellen. Dieser Stundenplan enthält alle Aktivitäten, wie zum Beispiel Medienaktivitäten, Experimente, etc, die während einer Mission geplant sind. Klingt im ersten Moment recht einfach, ist es aber nicht. Je nach Komplexität der Mission, müssen daher unterschiedliche Ressourcen berücksichtigt werden, z. B. dass genug Strom vorhanden ist, um zwei Experimente gleichzeitig laufen zu lassen, oder dass die maximale Bandbreite der Internetübertragung nicht überschritten wird. Das heißt, wenn man einen Flight Plan erstellt, muss man immer genau aufpassen, was man wo zu welcher Zeit einplant. Das ist wie Tetris für Fortgeschrittene.
Ein anderer Aspekt vom Flight Planning ist das Traverse Planning: die Planung eines optimalen Weges zwischen zwei Experimenten oder Probenentnahmen. Da im Feld doch oftmals beachtliche Strecken zwischen zwei interessanten Orten zurückgelegt werden, muss man die Zeit, die für diesen Weg benötigt wird, natürlich auch im Flight Plan einplanen können. Damit das möglich ist, benötigt man Daten für die Durchschnittsgeschwindigkeit des Suittesters sowie einen optimierten Weg. Optimiert kann heißen, dass der Weg entweder besonders kurz ist und schnelles Vorankommen möglich macht, oder unterwegs interessante Orte einbezieht, wo es sich lohnt einen Stopp zur Probenentnahme einzulegen. In jedem Fall aber hat die Sicherheit des Suittesters die höchste Priorität, sprich steile Abhänge oder andere potentielle Gefahren sollen soweit wie möglich vermieden werden.
Was genau macht ein Deputy Flightplanner beim ÖWF?
Das ist eine ganze Menge. Wie oben erwähnt, ist es recht aufwendig den Flight Plan zu erstellen. Als Flightplanner beginnst du daher immer zuallererst damit, so viele Informationen zu den Anforderungen und Prozeduren sowie zur bereitgestellten Infrastruktur zu sammeln wie nur möglich. Je mehr Infos es zu geplanten Aktivitäten und verfügbaren Ressourcen gibt, desto besser lassen sie sich planen und desto geringer ist dann während der Mission das Risiko, dass etwas schief läuft. Der nächste Schritt ist, die Anforderungen abzugleichen mit dem, was zu einem bestimmten Zeitpunkt während der Mission bereitgestellt werden kann, und auf dieser Basis einen Zeitplan zu entwickeln.
Da wir für MARS2013 als Deputy Flightplanner mit einem Team von motivierten und begabten Leuten arbeiten, für die es jedoch ihre erste Mission mit dem ÖWF sein wird, fällt uns zusätzlich die Aufgabe zu, unsere Kollegen in das Handwerk eines Flightplanners einzulernen.
Das beinhaltet also einerseits einen Haufen Papierkram und andererseits eine Flut an E-Mails und Telefonkonferenzen.
Welche Missionsphase ist zeitintensiver, die Vorbereitungs- und Planungsphase oder dann die operative Mission?
Das kann man so nicht wirklich beantworten, das hängt sehr von der Architektur einer Mission ab. Der Flight Plan besteht aber immer aus zwei Teilen, dem Mission Plan und dem Activity Plan. Der Mission Plan bildet das Grundgerüst. Das ist ein Zeitplan, der zwar schon alles an Aktivitäten enthält, die während der Mission eingeplant sind, die aber noch nicht so exakt auf die Minute festgelegt sind, da immer noch kurzfristige Änderungen auftreten können. Der Mission Plan findet Einsatz bevor die Mission startet. Der Activity Plan ist dann der exakte Zeitplan, der während der Mission eingesetzt wird. Zur Missionsarchitektur: es gibt im Wesentlichen zwei Planungsarten für Weltraummissionen: das Real-Time-Planning und die Two-Per-Day-Communication.
Real-Time-Planning heißt, dass sofort wenn während der Mission Probleme oder Verzögerungen auftreten, es zu einer Änderung im Activity Plan kommt. Dies macht Sinn vor allem für Missionen, die keinen Zeitverlust aufgrund großer Kommunikationsdistanzen aufweisen. Real-Time-Planning kam bei der Dachstein Mars Simulation 2012 zum Einsatz. Beim Real-Time-Planning ist es so, dass zwar vor der Mission eine Menge Arbeit anfällt, aber der größte Anteil der Planung während der Mission im Kontrollraum anfällt, wo dann teilweise unter recht stressigen Bedingungen brauchbare Lösungen für die Probleme im Feld gefunden werden müssen und der Zeitplan dementsprechend immer angepasst werden muss.
Bei der Two-Per-Day-Communication sieht das Ganze ein wenig anders aus. Two-Per-Day heißt: die Crew im Feld (auf dem Mars) hat zwar einen grob umrissenen Mission Plan, bekommt aber einmal am Tag ein Datenpaket geschickt mit dem aktuellen Activity Plan für den Tag, sowie allen weiteren relevanten Daten. Dann werden diese Aktivitäten vom Feldteam autonom abgearbeitet und am Ende des Tages ein Report zurück in den Kontrollraum geschickt, der alles enthält was an diesem Tag gemacht werden konnte oder wo ggf. Probleme aufgetreten sind. Währenddessen hat das Flight Plan Team im Kontrollraum schon an dem Activity Plan für den nächsten Tag gearbeitet, mit Rücksicht auf den Report von der Feldcrew vom Vortag. Diese Planungsart kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn es aufgrund von großen Distanzen (z. B. Erde-Mars) zu erheblichen Verzögerungen in der Kommunikation kommt – aufgrund der Lichtlaufzeiten (zwischen Frage und Antwort vergehen dadurch bis zu 45 Minuten). Da für MARS2013 eine solche Zeitverzögerung von 10 Minuten künstlich erzeugt wird, um die Simulation realistischer zu machen, wird das Flight Planning daher die Two-Per-Day-Communication verwenden. Anstatt einen Tag im Voraus zu planen, werden wir drei Tage zuvor planen, was uns Zeit gibt den Activity Plan zu überprüfen und notfalls Korrekturen anzubringen. Wir haben zwar noch keine großartigen Erfahrungen mit dieser Planungsart aber wir erwarten, dass der größte Teil der Arbeit vor der Mission anfällt weil vieles im Voraus schon genau geplant werden muss. Während der Mission dürfte es dann hoffentlich ruhiger werden, da werden nur noch Nachbesserungen angebracht, wo nötig, weil zum Beispiel ein Experiment an einem Tag nicht durchgeführt werden konnte, weil z. B. ein anderes länger gedauert hat als erwartet und es daher nochmals an einem anderen Tag in die Planung integriert werden muss.
Wie viele durchgearbeitete Nächte kostet so eine Mission?
Viele. Für Dachstein, was nur 4 Tage gedauert hat, waren es im Vorfeld schon etliche Nächte wo wir bis halb drei in der Nacht noch versucht haben, Experimente in den Mission Plan zu integrieren. In der Planung hatten wir 3 Versionen des Mission Plans. Allein für die dritte Version, die nur einige Nachbesserungen enthalten hatte, brauchten wir schon rund 50 Arbeitsstunden. Während der Mission selber haben wir jeden Tag die halbe Nacht damit verbracht, noch „Last-Minute-Anfragen“ von den Experimentatoren zu integrieren.
Für MARS2013 sind die Planungen zwar gerade erst gestartet, aber wir haben jetzt schon einiges an Nachtschichtstunden aufzuweisen, und das wird mit Sicherheit noch mehr werden angesichts der Größe des Projektes.
Welche Datenmengen habt ihr zu verarbeiten? Könnt ihr das für einen Laien greifbar erklären, ggf. mit einem Beispiel?
Auch hier lautet die Antwort: eine Menge. Für die Planungen haben wir wie gesagt sämtliche Ressourcen im Blick. Zum Beispiel haben wir ein Gerät das an Steilhängen oder Klippen von einem Suittester herabgelassen wird. Um allein dieses Experiment zu planen, müssen wir wissen wo die Klippen sind, ob dort Kommunikation via WiFi vorhanden ist, wie weit es bis dorthin ist, sprich wie viel Benzin und Zeit benötigt werden, um dorthin zu kommen. Der Anzug läuft mit Akkus, das heißt wir müssen im Auge behalten wie lange die Akkus laufen. Der Suittester braucht außerdem Wasser und Nahrung. Überanstrengen soll er sich auch nicht (der Anzug wiegt 45 kg), das heißt, wir müssen den besten und sichersten Weg finden wie er den Hügel hinauf kommt. Oben muss jemand bereitstehen und den Suittester sichern, damit er während der Operation nicht versehentlich den Abhang herunterrutscht. Dann dauert es eine bestimmte Zeit bis das Experiment vorbereitet, durchgeführt und wieder eingepackt ist, dabei müssen wir immer ein bisschen mehr Zeit einplanen, falls etwas länger dauert oder es Probleme gibt. Für das Experiment selber müssen wir im Auge behalten, dass z. B. die Batterien geladen sind, dass die nötige Bandbreite für die Übertragung vorhanden ist, usw. Je größer die Mission, desto mehr Faktoren spielen eine Rolle.
Während der Mission selber sind es dann diese Datenpakete die vom Feld kommen und zum Feld gehen, mit denen wir uns auseinandersetzen werden. Vom Feld kommen die Berichte über die durchgeführten Aktivitäten sowie Problemberichte und Statusupdates der vorhandenen Ressourcen. Zum Feld gehen Kartenmaterial mit eingezeichneten Orten wo Experimente durchgeführt werden sollen, Daten zur Navigation des Suittesters, der aktuelle Activity Plan und noch zusätzliche Informationen, die für die Feldcrew nützlich sein könnten.
Gab es während der EVAs des ÖWF oder schon in den Planungsphasen aus eurer Sicht besonders lustige oder nervenaufreibende Momente?
Die gab es in der Tat. Während der Dachstein Mars Simulation2012 hatten wir sowohl viele nervenaufreibende wie auch lustige Momente.
Um Beispiele zu nennen; besonders nervenaufreibend war es am zweiten Tag der Dachstein Simulation. Der erste Tag war der Medientag gewesen, wo die Regel, dass jeder der in die Höhlen geht einen Helm aufsetzen muss, aufgrund der Menge an Medienvertretern und Kamerateams außer Kraft gesetzt worden war, was aber nicht für den zweiten Tag galt. Wir hatten 30 Helme zur Verfügung, unsere wichtigste Ressource für Dachstein. Wir hatten jedem Experimentatorenteam eine bestimmte Anzahl an Helmen zugeteilt, so dass jeder zu den geplanten Zeiten in der Höhle seine Messungen machen konnte und dabei durch einen Helm gesichert war. Leider hatte es durch diesen helmfreien Medientag einige Verwirrungen gegeben. Einige wussten, dass sie Helme in der Höhle brauchten, andere nicht. Und so kam es zu Verwirrungen und Verzögerungen, dir wir aber gemeinsam mit den Experimentatoren im Laufe des Tages lösen konnten.
Einen der lustigsten Momente hatten wir am letzten Tag der Dachstein Simulation während des JPL Experiments, wo wir während des Experiments die Kontrolle über das Experiment an unsere Kollegen von der KiwiSpace Foundation übergeben hatten, die sich derzeit selber auf einer Mission in der MDRS (Mars Desert Research Station) befanden. Sie sollten den Suittester anweisen, wie er die Proben zu entnehmen habe. Da dieser vorher schon Proben entnommen hatte und somit die Prozedur kannte. Unsere Kollegen aber, die zuerst mit uns im Kontrollraum gesprochen hatten, bevor wir sie in die Leitung zum Suit verlegt hatten, sich erst noch darauf einstellen mussten, direkt mit dem Suit zu reden und nicht mit einem vom Kontrollraum, der es dem Suittester weiterleitet, ergaben sich etliche lustige Dialoge, die das ganze Kontrollzentrum zum Lachen brachten.
Neben viel Stress kommt also der Spaß nicht zu kurz. Gut so! Vielen Dank für eure ausführlichen Antworten, viel Erfolg und vor allen Dingen Spaß beim nächsten Großprojekt MARS2013!
- Tagged:Forschung, Interview, Mars2013, Wissenschaft
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