2015
Eine nahezu historische Premiere stand im Mittelpunkt des zweiten Trainings-Blocks der neuen ÖWF Analog-Astronauten – pardon, AstronautInnen – in Innsbruck. Ein Bericht über die Kunst, mit großen Handschuhen kleine Schrauben zu bewegen und bei provokanten Interviewfragen nicht die Fassung zu verlieren.
Ihr Grinsen reicht von einem Helmrand zum anderen, während mehrere Leute gleichzeitig an ihr herumzerren und sich dabei Kommandos zurufen. Ein sperriges Oberteil, das einer Ritterrüstung ähnelt, wird ihr zentimeterweise über den Kopf gestülpt, Kabel miteinander verbunden, ein Wasserbehälter angeschlossen, Gurte verspannt, Schulterpolster eingerichtet, Checklisten abgehakt. Es dauert gute zwei Stunden, bis die zierliche junge Dame fertig „angezogen“ ist. Und die ganze Zeit über strahlt ihr Lächeln heller als der reflektierende silberne Anzug unter dem Blitzlicht der Fotografen. Carmen Köhler ist die erste Analog-Astronautin in der Geschichte des ÖWF und sichtlich stolz darauf.
Beim Aufstehen assistieren ihr zwei Suit-Tech-Mitarbeiter, denn der Simulations-Raumanzug wiegt in seiner aktuellen Ausführung sperrige 48 kg. Vorsichtig macht sie ihre ersten Schritte – a small step for a woman, a big step for analogue research – in jedem Moment aufmerksam beobachtet von ihren männlichen Kollegen, die dieses Abenteuer noch vor sich haben. Und als ob es nicht schon Herausforderung genug wäre, sich in diesem anziehbaren Raumschiff überhaupt koordiniert zu bewegen, stehen auch noch Geschicklichkeitsaufgaben auf dem Programm für ihre erste sogenannte EVA (Extra-Vehicular Activity, der Fachausdruck für Weltraumspaziergang). Feinmotorische Arbeiten sind mit den klobigen Handschuhen nichts für Ungeduldige, aber Carmen schraubt erfolgreich kleine mechanische Teile in Metallplatten und bleibt Siegerin im Kampf mit winzigen magnetischen Stäbchen und Kügelchen, die sich zu symmetrischen Strukturen fügen sollen.
Als ÖWF-MitarbeiterInnen die bislang einzige Frau dieses kleinen internationalen Teams wieder aus „Aouda“ (benannt nach einer der Hauptfiguren aus „In 80 Tagen um die Welt“) ausgebaut haben, gibt es noch lange keine Pause für unsere fünf neuen Analog-AstronautInnen. Sie müssen ihr theoretisches und praktisches Wissen in vielen kleinen Einheiten laufend unter Beweis stellen. So hat das Beantworten technischer Fragen seine Tücken, wenn man währenddessen auf einer Balance-Platte herumschwanken und sich gegenseitig kleine Bälle zuwerfen muss. Aber das ist erst die Aufwärmübung. Am Freitag stand neben „Nachhimmel-Orientierung“ im Planetarium Schwaz u.a. bereits Theorie zum Thema Media Training am Programm, ist heute der Praxisteil angesagt.
Den ganzen Tag über werden Carmen Köhler (DE), Stefan Dobrovolny (Ö), Kartik Kumar (NL), João Lousada (POR) und Iñigo Muñoz Elorza (SPA) interviewt. Zuerst befragt sie das ÖWF Media-Team im Zuge von Filmaufnahmen, dann ein erfahrener Journalist, der unsere Frischlinge zu Übungszwecken mit genau jenen unangenehmen bis unverschämten Fragen bombardiert, die auch medienerprobte Menschen nur allzu leicht aus dem Konzept bringen. Er spricht sie zur Begrüßung mit einem falschen Namen an, verwechselt Ihre Lebensläufe, spekuliert in uncharmanter Weise über ihre Motive, behauptet Unwahrheiten über das ÖWF und stellt auf unverblümte Art die Berechtigung ihrer Forschungstätigkeit in Abrede. Da sind Authentizität und Schlagfertigkeit gefragt, während das Mitfilmen der Situation den Stresslevel erhöht. In der Nachbesprechung bekommen unsere Interview-Kandidaten wertvolle Tipps dazu, wie man in solchen Situationen die Oberhand behält.
Nach einer anspruchsvollen Team-Building Übung (wie baut man eine Brücke ohne die üblichen Hilfsmittel), die mit 24 Holzbrettern von 10 geschickten Händen konstruktiv gemeistert wird, sind die fünf schließlich auch noch die Stargäste einer Live-Schaltung zum Spaceup im Kölner Astronautenzentrum. Ein Tag im Leben der Analog-AstronautInnen ist allerdings nicht nur heute lang, sondern beginnt – wie bei jedem Trainingsblock – auch sonntags gnadenlos um 7 Uhr mit einem Morgenlauf – geführt von professionellen Trainern, die auch streng auf die Ernährung ihrer Schützlinge achten.
Körperliche Fitness ist schließlich ein entscheidendes Kriterium, um auf einer Feldexpedition auch längere Ausflüge mit dem Simulations-Raumanzug in guter Verfassung zu überstehen und unter dieser hohen physischen Belastung arbeitsfähig zu bleiben. Schließlich müssen Geologie-Proben in den meisten Fällen in mühsamer Kleinarbeit aus soliden Felsen geklopft werden und die anderen wissenschaftlichen Experimente erledigt „Aouda“ auch nicht im Alleingang – immerhin ist sie ja eine Prinzessin. Auch wenn sie nicht annähernd so königlich Lächeln kann wie Carmen Köhler.
Daniela Scheer, ÖWF Media Team
20.-22. März 2015, Innsbruck
- Tagged:Analog-Astronauten, Aouda, Innsbruck, Training
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