2016
Der Ministerrat der ESA: Wegweiser für Europas Zukunft im All
Am 01. und 02. Dezember tagt der Rat der ESA auf Ministerebene in Luzern in der Schweiz. Das politisch höchste Entscheidungsorgan der ESA wird dabei wieder wichtige, richtungsweisende Entscheidungen treffen, welche die Zukunft der europäischen Raumfahrt in den kommenden Jahren bestimmen werden. Doch was genau ist dieser Ministerrat überhaupt? Wie läuft so etwas eigentlich ab? Und über was wird dort diskutiert?
Der Ministerrat
Um zu verstehen, was genau der Ministerrat ist, muss man sich erst einmal vergewissern, was die ESA eigentlich ist. Die ESA ist eine sogenannte internationale zwischenstaatliche Organisation, sprich, hier sind vor allem Staaten die Entscheider. Die ESA grenzt sich damit von nichtstaatlichen Organisationen (z.B. Privatunternehmen, Forschungsinstituten, zivilgesellschaftlichen Organisationen, usw.) und von internationalen Organisationen mit sogenannten supranationalen Elementen ab, also solchen, in denen die Mitgliedsstaaten in gewissen Politikbereichen ihre Hoheitsgewalt an die Organisation abgetreten haben (z.B. in bestimmten Bereichen die EU).
In der ESA sind also die Staaten die Bestimmer. Das Organ, in dem die Mitgliedsstaaten Entscheidungen treffen, ist der Rat. Seine Funktionen, sein Aufbau und seine Verfahrensregeln sind in Artikel XI der ESA Konvention (formell: Übereinkommen zur Gründung einer europäischen Weltraumorganisation) festgelegt. Er tritt in zwei verschiedenen Formen zusammen, der Delegierten- und der Ministerebene. Auf der Delegiertenebene treffen sich Gesandte der Mitgliedsstaaten mehrmals im Jahr und besprechen Status und Umsetzung der verschiedenen Programme. Dies kann als die Arbeitsebene bezeichnet werden.
Die zweite Form, in der der Rat zusammentritt, ist auf der Ebene der Minister, dies ist dann also der Ministerrat. Eine feste Regel, wie oft dies geschieht, gibt es nicht. Jedoch fanden die Treffen in der jüngeren Vergangenheit meist alle 2-3 Jahre statt. Im Ministerrat werden grundlegende, meist höchstpolitische Entscheidungen getroffen. Er bestimmt die Höhe der finanziellen Mittel für die ESA, kann den Generaldirektor wählen und legt die grundlegende wissenschaftliche und politische Orientierung der Organisation fest. Im Rat hat jeder Mitgliedsstaat eine Stimme, es sei denn, es geht um optionale Programme. Dann darf nur abstimmen, wer sich auch beteiligt.
Zum Vergleich: Ein Rückblick auf die Tagung des Ministerrats 2014
Der letzte Ministerrat ist mittlerweile zwei Jahre her. Er tagte am 02. Dezember 2014 im Europäischen Kongresszentrum in Luxemburg.
Auf der damaligen Sitzung wurden drei Beschlüsse gefasst:
- Europas Zugang zum Weltraum: Einen eigenen, unabhängigen Zugang zum Weltraum zu haben ist für jede Raumfahrtnation (bzw. Raumfahrtorganisation) ein wichtiges strategisches Ziel. In Europa wird dies hauptsächlich durch die Ariane- und Vega-Trägerraketen gewährleistet. Seit 1996 sind verschiedene Versionen der Ariane 5 im Einsatz, doch aufgrund des zunehmenden Konkurrenzdrucks im und Wandel des Trägermarkts hat man sich 2014 darauf geeignet, ein Nachfolgemodell, die Ariane 6, zu entwickeln. Außerdem wurde eine Weiterentwicklung der Vega-Trägerrakete beschlossen, welche für kleinere Nutzlasten eingesetzt wird.
- Europas Weltraumerkundungsstrategie: Der Ministerrat hat 2014 sowohl politisch die Erkundungsziele der ESA im Weltraum – den niedrigen Erdorbit, den Mond und den Mars – bestätigt und gleichzeitig finanzielle Zusagen für bestimmte Programme dahingehend gemacht. So wurde z.B. die Beteiligung an der Internationalen Raumstation (ISS) bis 2017 beschlossen und neue Gelder für die ExoMars-Mission gesichert.
- ESA Entwicklung: Wie soll sich die ESA als Organisation in Zukunft weiterentwickeln? Die ESA existiert nicht in einem Vakuum, sondern muss mit verschiedenen Akteuren arbeiten, darunter ihre Mitgliedsstaaten, Wissenschaftler, die Industrie, die Europäische Union sowie Nicht-Mitgliedsstaaten. Wie diese Beziehungen in Zukunft ausgestaltet werden sollen, war Teil des dritten Beschlusses. All dies soll so geschehen, dass die ESA weiterhin eine weltweit führende Institution in den Bereichen Weltraumwissenschaften, Erdbeobachtung, Weltraumerkundung und Technologieentwicklung bleibt.
Ausblick: Der Ministerrat 2016
Auch dieses Jahr gibt es wieder eine lange Liste von Themen, über die die für Weltraumangelegenheiten zuständigen Ministerinnen und Minister der 22 ESA Mitgliedsstaaten und des Kooperationspartners Kanada entscheiden müssen. Damit die Organisation auch in Zukunft den Weltraum erforschen, Wissen verbreiten, Innovation und Technologien fördern und Arbeitsplätze schaffen kann, wird sie ihren Mitgliedsstaaten laut Generaldirektor Wörner Programmvorschläge in Höhe von insgesamt 11 Milliarden Euro machen. Unter anderem werden folgende Themen auf der Agenda stehen:
- Zukunft der ISS: 2014 haben sich die Mitgliedsstaaten geeinigt, bis 2017 weiterhin Partner der ISS zu sein. Nun wird über eine Verlängerung diskutiert und die ESA wird den Mitgliedsstaaten eine politische Zusage bis 2024 und konkrete finanzielle Zuwendungen in Höhe von 800 Millionen Euro bis 2021 vorschlagen. Ob dies gelingt, ist noch offen. Zwar haben alle anderen ISS Partner (USA, Russland, Kanada, Japan) ihre Teilnahme bis 2024 bereits zugesagt, jedoch wurden in manchen Mitgliedsstaaten der ESA Zweifel laut, ob man sich auch weiterhin noch beteiligen möchte.
- ExoMars: ExoMars ist eine zweiteilige Mission, welche die ESA zusammen mit Russland durchführt und die unter anderem die Suche nach Leben auf dem Mars als Ziel hat. Im Oktober dieses Jahres wurde der Trace Gas Orbiter (TGO) erfolgreich in eine Umlaufbahn um den Mars eingesetzt. Der Lander, Schiaparelli, scheiterte jedoch bei der Landung. Nun wird über den zweiten Teil der Mission verhandelt, der 2020 starten soll. Noch fehlen der ESA 400 Millionen Euro. Sind die Mitgliedsstaaten nicht bereit, diese Zusage zu treffen, muss die Mission wahrscheinlich gestrichen werden.
- ESA Entwicklung: Auch die institutionelle Weiterentwicklung der ESA wird wieder auf der Agenda stehen. Insbesondere wird es darum gehen, wie die ESA mit der sogenannten „New Space Economy“ umgehen soll. Der zunehmenden Privatisierung und Vielfältigkeit von Weltraumaktivitäten möchte Wörner mit seinem Konzept „Space 4.0“ begegnen, welches eine größere Einbindung von Privatunternehmen und der Öffentlichkeit in Weltraumaktivitäten vorsieht. Außerdem will Wörner eine bessere Zusammenarbeit mit anderen europäischen Institutionen erreichen, ein Konzept, welches er „United Space in Europe“ nennt. Ein konkretes Beispiel dafür ist die Erarbeitung einer gemeinsamen europäischen Weltraumstrategie mit der Europäischen Union (vertreten durch die Europäischen Kommission). Diese hat Ende Oktober ein Strategiepapier für die europäische Raumfahrt vorgestellt, welches von einem gemeinsamen EU-ESA Statement über geteilte Visionen und Ziele der Zukunft Europas im All begleitet wurde. Auch die ESA hat ein Strategiepapier erarbeitet, welches eng mit der EU-Strategie abgestimmt ist. Dieses soll auf der Tagung des Ministerrats gemeinsam durch alle Mitgliedsstaaten angenommen werden.
Es wird also spannend werden in Luzern. Wenn Sie dem Event folgen möchten, dann besuchen Sie die Twitter-Accounts der ESA und ihres Generaldirektors Jan Wörner oder schauen Sie auf der ESA Homepage vorbei.
Autor: Maximilian Betmann
Weiterführende Links:
- Übereinkommen zur Gründung einer europäischen Weltraumorganisation (ESA Konvention)
- Beschlüsse des Ministerrats 2014 (Englisch)
- Pressekonferenz von ESA Generaldirektor Jan Wörner zum Ministerrat 2016 (Video, Englisch)
- Hintergrundinformationen zum Ministerrat 2016 (Englisch)
Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Englisch
- Tagged:ESA, ExoMars, ISS, Ministerrat, Space 4.0, United Space in Europe
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