2011
Dutzende Menschen in roten Shirts und schwarzen Hosen eilen geschäftig durch die Gänge, dazwischen dreht Erich Pröll auf einem Segway seine Runden – mit den Knien bedient er das Gefährt, mit den Händen eine Filmkamera. Die frisch ausgemalenen Räume sind mit PCs und Laptops vollgestopft, auf denen Daten und Grafiken in überlappenden Fenstern miteinander um Aufmerksamkeit ihrer Benutzer konkurrieren. Überall Kabel, Kopfhörer, lange Listen mit Namen, Uhrzeiten und unverständlichen Abkürzungen. Mitten im Gewimmel sind immer wieder Funksprüche zu hören und draußen vor dem halbgeöffneten Fenster bewegt sich eine Gestalt mit einem high-tech Helm und einem silbernen Anzug mit einer langen Antenne daran langsam über ein kiesbestreutes Flachdach.
Ein Science Fiction Film? Nein, eine Generalprobe, auch „Dress Rehearsal“ genannt – das ist die am Theater verwendete Bezeichnung für eine Kostümprobe. Auch das Österreichische Weltraum Forum muss hin und wieder für eine Premiere proben – dieses Mal für unsere Expedition nach Rio Tinto, Südspanien.
Was vom 1. bis zum 3. April in Innsbruck geübt wurde, ist die Simulation eines Aufenthalts in einer fremden und unwirtlichen Welt, wo Proben genommen und wissenschaftliche Experimente durchgeführt werden. Die dabei gewonnenen Daten und Erkenntnisse sollen schließlich jenen Pionieren zugute kommen, die einst ihren Fuß auf den roten Planeten setzen werden.
Das Aouda.X Suitlab in einem Gebäude des Roten Kreuzes ist an diesem Wochenende unsere Bühne, bald schon wird es eine Wüste sein. Unsere Hauptdarsteller heißen Aouda.X (Simulationsraumanzug) und Phileas (Rover), Expeditionsleiter Gernot Grömer ist der Regisseur (leicht erkennbar am extravaganten Hut). Er gießt das kreative Chaos in eine produktive Form, denn auch bei der Planung einer Feldexpedition muss es ein Drehbuch geben, den sogenannten „Flightplan“. Dort ist für jede Minute jeden Tages genau geplant, wer was wann und wie zu tun hat.
Alle Mitwirkenden sind für die Generalprobe in ihre Rollen geschlüpft. Im Theater arbeiten Tontechniker, Kostümschneider und Maskenbildner im Hintergrund – im ÖWF Hauptquartier sind die guten Geister des Hauses beim „Ground Support“ tätig. Sie besorgen Unterkünfte, arrangieren das Mittagessen, laden Akkus auf, reparieren Kaffeemaschinen, schreiben Dokumentationen und tippen Adresslisten, betanken die Stromgeneratoren. Sie haben den Überblick darüber wer kommt und geht und heften jedem das richtige Namensschild an. Sie sind Dekorateur, Tour Guide, Reinigungskraft und Chauffeur in einem.
Während unserer Probeläufe fällt zweimal die Kommunikation aus – jedes Mal stellt sich bei der Fehlersuche heraus, dass jemand versehentlich einen Stecker gezogen hat, den anzufassen unser Leiter vom „Ground Support IT“ jedem Nicht-Techniker strengstens verboten hat. Ups! Zum Glück hat Harald Fuchs eine hohe Frustrationstoleranz, denn unsere IT-Spezialisten haben es wirklich nicht leicht – sie sind für alles zuständig, was einen reibungslosen Ablauf garantiert: Sie installieren die Software, schrauben an der Hardware und arbeiten notfalls die Nächte durch um widerborstigen Kommunikationsprogrammen zu zeigen, wer hier das Kommando hat.
In unserem Missionskontrollzentrum ist das der „Flight Director“. Er leitet und überwacht das ganze Spektakel gemeinsam mit seinem Assistenten. Damit unsere Hauptdarsteller und die dazugehörige „Field Crew“ draußen auf dem Dach auch ordentlich ins Schwitzen kommen, haben sie anspruchsvolle Aufgaben zu erfüllen. Neben einer ganze Reihe von wissenschaftlichen Experimenten stehen nämlich auch ein paar „special effects“ auf dem Plan.
Denn nicht alles, was vom 18. bis zum 22. April in Südspanien passieren könnte, kann man vorhersehen. Um so wichtiger ist es, mit diversen simulierten Ernstfälle die Improvisationskunst des Teams zu schulen. Einmal lautet die Botschaft, dass in der Trinkwasserversorgung des Simulationsraumanzugs ein Leck vermutet wird. Jetzt heißt es schnell reagieren – im MCC geht das gelbe Warnlicht an und der Notfallplan tritt in Kraft. Nicht, dass der Anzugträger verdursten könnte, ist das Problem, sondern dass Flüssigkeit in Kombination mit Elektronik und der dazugehörigen Stromversorgung ziemlich ungesund sein kann.
Für den Fall des Falles gibt es natürlich einen Sicherheitsbeauftragten. Er trägt eine Weste mit der Aufschrift „Safety“ und hat stets ein Funkgerät, eine Schere und einen Feuerlöscher dabei um unsere Aouda notfalls wie ein Hühnchen zu zerlegen und den Simulationsastronauten zu retten. Wenn gerade kein Ernstfall droht, hat der Safety-Beauftragte auch andere Aufgaben. Zum Beispiel schubst er zwischendurch die Herumstehenden von der Weitwinkel-Kamera weg, die das allsehende Auge der Missionsleiter ist. Sollte dabei jemand stolpern, ist vorgesorgt, denn wir haben auch einen „Biomedical Engineer“. Er ist für die Gesundheit sämtlicher Beteiligter verantwortlich und damit gewissermaßen der Haus- und Notfallarzt in einer Person. Als unser Anzugtester Schmerzen in der Schulter meldet, spricht er ein Machtwort und lässt den Einsatz abbrechen. Sicherheit hat Vorrang vor der Wissenschaft.
Damit vor, während und nach der Mission auch die Welt außerhalb des MCC mitbekommt, was sich in einem isolierten südeuropäischen ehemaligen Minengebiet so alles abspielt, wenn unser Team eine Marsexpedition simuliert, gibt es das ÖWF Medienteam. Und das hatte an diesem Wochenende einiges zu planen: Presseaussendungen und –konferenzen, das Programm für den Tag der offenen Tür (Anmerkung der Redaktion: findet am 20. April statt), eine Multimedia-Show, die Dekoration des MCC, Fotos, Artikel, Interviews und Videos für die Website und sämtliche Social Media Aktivitäten, die unser Publikum praktisch rund um die Uhr über die Mission informieren sollen.
Am Sonntag hängen an den Wänden der ÖWF Zentrale bereits die ersten Schnappschüsse der Missionsteilnehmer. Drinnen beginnen die Aufräumarbeiten während sich der Simulationsastronaut in der Nachmittagssonne vorsichtig aus seinem Anzug schält. Die Helfer können sich das Schmunzeln nicht verkneifen, als sie Ulrich Luger in dem Gewirr von einem halben Dutzend Messgeräten, Sensoren und Kabeln wortwörtlich freilegen. Nicht alle Geräte haben die erwarteten biologischen Messdaten geliefert.
Wenn im Theater eine Generalprobe mit Pannen gespickt ist, dann sprechen abergläubische Ensemblemitglieder gerne von einem guten Omen für die Erstaufführung. Wir sind selbstverständlich kein bisschen abergläubisch, aber aus einem Grund, der sich uns logisch nicht ganz erschließen will, sind wir vorsichtig optimistisch, dass wir in Rio Tinto mit eventuellen Blackouts und Texthängern ganz gut zurecht kommen werden…
Anmerkung der Redaktion: Daniela Scheer wird bei der Rio Tinto Mission als ÖWF Reporter vor Ort dabei sein und täglich aus ihrer persönlichen Sicht hier in unserem Blog darüber berichten!
Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Englisch
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