2011
Polyphone Klingeltöne der Handywecker unterbrechen die Stille im Camp. Raus aus dem feuchten Schlafsack im tropfnassen Zelt, rein in die feuchte Kleidung, die feuchte Klopapierrolle schnappen und hinaus in das feuchte Wetter, wenn der Regen mal für drei Minuten nicht Vollgas gibt. Waschen ist kein Punkt auf der Tagesordnung mehr und die Idee mit der Solardusche nur noch eine Anekdote am Rande. Zur Zeit sind wir über jede Minute froh, in der wir nicht nass werden.
Während die einen zuerst den Generator und dann die Kaffeemaschine starten, suchen die anderen im Halbdunkel mit Taschenlampen bewaffnet unter einem Tisch nach einer teueren Linse, die jemand verloren zu haben glaubt. Glücklicherweise ein Irrtum, denn alles ist hier um ein paar Grad umständlicher als in der Zivilisation. Ein schnelles Frühstück geht sich aus, aber kurze Zeit nachdem alle im OPS-Zelt sind, geht der Regen wieder los.
Er hört den ganzen Vormittag nicht auf und wir nehmen uns die Zeit für diverse Vorbereitungen, um eventuelle Trockenphasen so effizient wie möglich ausnutzen zu können. Während wir Daniel Schildhammer, unseren heutigen Suittester, in den Simulationsraumanzug einbauen, filmt Erich Pröll jeden unserer Handgriffe und bittet alle paar Minuten um erklärende Kommentare. Er muss mittlerweile einige Kilometer Band von uns haben.
Unterdessen wird aus dem Landregen ein Regensturm – es regnet Katzen und Hunde (der englischen Redensart entsprechend), „allerdings mehr Hunde“, wie jemand anmerkt. Wir sind mitten im Donning. Es tropft durchs Dach und auf Daniels Sessel. Unter dem provisorischen Donning-Zelt draussen bildet sich bereits ein kleiner See. Dennoch versuchen wir draussen weiterzumachen.
Der Aufschrei von Sebastian Sams, unserem IT-Genie, hallt durchs Zelt und signalisiert einen Ernstfall. Das vom Wind durch die Zeltspalten gepresste Wasser tropft auf eine Ladestation. Mit Powertape wird das Dach isoliert – überall dort wo wir kleine Lücken vermuten. Zwischendurch fällt der Generator aus und wird wieder in Gang gesetzt. Die grünen Regenmäntel machen sich bezahlt, Regenschirme wären bei einer Windstärke von 6 bis 7 Beauforts bestenfalls für unfreiwillige Flugversuche geeignet.
12 Uhr – Daniel gibt es auf, draussen unter dem Zeltdach auf das Ende der Sintflut und den Beginn seiner EVA (Aussenbordeinsatz) zu warten und wird wieder ins OPS-Zelt befördert. Geplant war, im „Rock Garden“ Bodenproben zu entnehmen. Das ist ein geologisch wie optisch sehr beeindruckendes Gebiet, das sich gleich an unsere Testsite anschließt. Die Nachfrage von MCC, ob wir schon Samples haben, löst ein schmerzverzerrtes Grinsen aus.
Eine halbe Stunde später wird Alarm gegeben – die Wüstenlandschaft in der wir campen, verwandelt sich langsam aber sicher in eine Seenlandschaft und unsere Zelte drohen davon zu schwimmen. Es wird empfohlen, die wichtigsten Habseligkeiten in die Transporter zu evakuieren. Um die Wassermengen zumindest kurzfristig umzuleiten werden die bestehenden Gräben um die Zelte herum vertieft. Das Eurobot-Team hat bereits Mitleid mit uns und schenkt uns trockene „Mars 500“ T-Shirts.
Wir vertreiben uns die Zeit damit, die Artikel auf der ÖWF-Website zu lesen bis jemand schreit: „Es hat aufgehört!“ Wir müssen noch ganz dringend wichtige Sponsorfotos machen, das könnte unsere letzte Chance sein. Wir hieven den Anzugtester aus seinem Sessel und rennen los. In weniger als drei Minuten ist alles erledigt und wir sprinten zurück ins rettende Zelt. Kaum dass wir drin sind, setzt ein Sturm ein als wäre der Weltuntergang nahe. Jetzt ist dort oben jemand richtig sauer. Wir verlieren jegliche Kommunikation und nehmen sicherheitshalber unsere Laptops vom Netz.
Plötzlich läuft ein Wasserkanal mitten durchs Zelt. Ein paar Minuten später lässt der Sturm schlagartig nach und es wird heller. Ein paar Freiwillige werden für die Geologen die notwendigsten Proben nehmen, damit unsere Wissenschaftler bei dem Wetter nicht völlig durch den Rost fallen. Ziel ist der „Rock Garden“ und es schüttet wieder – keine Nichtschwimmer erlaubt. Durchnässt aber glücklich kehren die Teammitglieder zurück – sie haben nicht nur großartige Gesteinsproben sondern auch Wasserproben in verschiedenen Rotschattierungen mitgebracht.
Wir müssen nicht lange warten, bis es wieder heller und trockener wird. Um 15:00 schließlich wird der – schon fast wieder eingemottete – Eurobot freundlicherweise noch einmal hochgefahren, um unseren Simulationsastronauten auf seinem Ausflug begleiten zu können. Wir sind bei dem Geröllfeld vor dem Rock Garden als es wieder wie verrückt zu schütten anfängt. Eine Plane wird über den Eurobot geworfen, Daniel und Aouda machen im Laufschritt kehrt ins Basiszelt. Das Eurobot-Team kommt mit der Zeltgarage angelaufen und wir parken unseren Transporter an der Windseite, damit es nicht abhebt. Im Schritttempo fährt das ESA-Gerät dann – mitsamt seinem Zelt – zu seinem Platz neben dem OPS-Zelt zurück. Es ist noch nicht ganz angekommen als wieder die Sonne scheint.
Das einzig Konstante am Wetter heute Nachmittag ist, dass es viertelstündlich wechselt: Von Sommertag zu Weltuntergang und retour. Zwischendurch werden im Rock Garden noch weitere geologische Proben genommen und Daniel macht im Suit einen weiteren Durchgang des Contamination Vector Experiments, mit dem der Grad der gegenseitigen Verunreinigung von Boden und Astronaut bei der Probenentnahme getestet werden soll.
Gegen 19 Uhr abends ist alles erledigt. Unsere Kooperationspartner von der ESA verstauen den Eurobot wieder in seiner maßgefertigten (und mittlerweile durch die Wetterkapriolen völlig verzogenen) Holzkiste, bedanken sich für die Zusammenarbeit und reisen ab. Auch wir haben vom MCC das GO für eine frühere Abreise erhalten. Morgen wird gepackt.
Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Englisch
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