2020
Heiß: Solar Orbiters Reise zur Sonne
In den frühen Morgenstunden des 10. Februars ist es so weit. Wenn alles nach Plan verläuft, wird dann eine Atlas-5-Trägerrakete vom amerikanischen Weltraumbahnhof Cape Canaveral in Florida starten und eine runde 180 kg schwere Sonnensonde der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, den sog. Solar Orbiter, ins All bringen. Knapp zwei Jahrzehnte nach der Konzipierung soll die Mission zur Erforschung des Sonnenwinds und von Eruptionen unseres Heimatsterns nun starten. Mit dieser Mission zielt die ESA, in enger Kooperation mit der US-Weltraumagentur NASA, ins Herz unseres Sonnensystems, denn näher zur Sonne ist Europa vorher noch nicht vorgedrungen.
Nach dem Start muss die Raumsonde mehrmals an Erde und Venus Schwung holen, um rund dreieinhalb Jahre später ihre operative Umlaufbahn zu erreichen: einen elliptischen Orbit, auf dem sich der Orbiter in regelmäßigen Abständen der Sonne bis auf 42 Millionen Kilometer nähert. Bei dieser Entfernung von unserer Sonne wird die Raumsonde der 13-fachen Hitze ausgesetzt sein als es Satelliten in der Umgebung der Erde sind. Zum Vergleich: Die Erde hält auf ihrem Weg um unser Zentralgestirn einen mittleren Abstand von 150 Millionen Kilometern ein. Die Anforderungen an Material und Technik sind daher sehr hoch. Wichtige Vorarbeiten wurden im Rahmen der 2018 gestarteten europäisch-japanische Mission „BepiColombo“ zum sonnennächsten Planeten Merkur geleistet. Während der geplanten Primärmissionsdauer von sieben Jahren wird die Sonde mehrmals an der Venus vorbeifliegen, um den Blickwinkel zu verändern. Die Anhebung der Bahnneigung von 0 auf 25 Grad ermöglicht eine bessere Sicht auf die Pole der Sonne und erste Nahaufnahmen dieser Region.
Wissenschaftliche Untersuchungen
Die vier wissenschaftlichen Hauptfragen der Solar Orbiter Mission sind:
- Wie und wo entstehen Plasma und Magnetfeld des Sonnenwindes in der Korona?
- Wie verursachen vorübergehende Ereignisse auf der Sonne die heliosphärische Variabilität?
- Wie erzeugen Sonneneruptionen die energetische Teilchenstrahlung, die die Heliosphäre ausfüllt?
- Wie funktioniert der solare Dynamo und wie beeinflusst er die Beziehungen zwischen Sonne und Heliosphäre?
„Wir wollen in erster Linie mehr über die Heliosphäre erfahren und verstehen, wie unser Stern die riesige Plasmablase, in der unser Sonnensystem eingebettet ist, erzeugt und moduliert“
Wolfgang Baumjohann – Direktor des Instituts für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Graz
„Sogenannte Flares und koronale Massenauswürfe sind die Ursache für starke Störungen des Weltraumwetters in Erdnähe,“ erläutert Astrid Veronig vom Institut für Physik und Leiterin des Observatoriums Kanzelhöhe der Universität Graz. Sie ist für die wissenschaftliche Leitung der Software-Entwicklung für das Röntgenteleskop der Sonde verantwortlich.
Die Heliospähre ist eine gigantische Plasmablase aus geladenen Teilchen und einem Magnetfeld, die das gesamte Sonnensystem umfasst und uns letztendlich auch vor der kosmischen Strahlung schützt. Wie stark dieser Schutz ist, ist abhängig von den Aktivitätsphasen der Sonne, die sich in etwa im Zeitraum von elf Jahren verändern. Auch hier wollen die Wissenschaftler im Rahmen der Solar-Orbiter-Mission besser verstehen lernen, warum sich die Aktivitätsphasen der Sonne in einem Elf-Jahres-Zyklus verändern.
Das sog. Weltraumwetter wird neben langfristigen Zyklen auch von kurzzeitigen Sonneneruptionen (Flares) und vor allem Massenauswürfen aus der Sonnenatmosphäre (Corona) bestimmt, bei denen sich Material der Sonne in Richtung Weltall verabschiedet. Letztere lösen auch auf der Erde Weltraumwetterstürme aus, die technische Systeme, wie Satelliten, mitunter stark beeinflussen können. Zwar lassen sich diese Ereignisse auch von der Erde und erdnahen Umlaufbahnen beobachten, aber in Sonnennähe kann man das Plasma und das Magnetfeld direkt messen.
Wissenschaftliche Instrumente
Um die wissenschaftliche Mission erfüllen zu können, hat der Solar Orbiter zehn wissenschaftliche Geräte an Bord. Auch österreichische Technik ist mit an Bord, denn drei davon wurden vom Grazer Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Graz mitentwickelt.
Instrument | Messungen |
SWA: Solar Wind Plasma Analyser (Sonnenwind-Plasma-Analysator) PI: C. Owen, Mullard Space Science Lab, UK | Eigenschaften der Ionen und Elektronen des Sonnenwindes (inkl. Dichte, Geschwindigkeit und Temperatur); Ionenzusammensetzung der Hauptelemente des Sonnenwindes |
EPD: Energetic Particle Detector (Detektor für energiereiche Teilchen) PI: J. Rodríguez-Pacheco, University of Alcala, Spain | Zusammensetzung, Zeitverhalten und Verteilungsfunktionen von suprathermalen und energieeichen Teilchen |
MAG: Magnetometer PI: T. Horbury, Imperial College, UK | In-situ Messungen des heliosphärischen Magnetfeldes |
RPW: Radio and Plasma Waves (Radio- und Plasmawellen) PI: M. Maksimovic, Observatoire de Paris, France | Magnetische und elektrische Felder in hoher Zeitauflösung (in-situ und in Fernerkundung) |
PHI: Polarimetric and Helioseismic Imager (Polarimetrischer und Helioseismischer Imager) PI: S.K. Solanki, Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, Germany | Magnetfeldvektor und Geschwindigkeit in Richtung der Sichtlinie in der Photosphäre für die volle Sonnenscheibe und Kontinuum-Intensität im sichtbaren Wellenlängenbereich |
EUI: Extreme Ultraviolet Imager (Extrem-Ultraviolett Imager) PI: P. Rochus, Centre Spatial de Liège, Belgium | EUV-Bildsequenzen der Schichten der Sonnenatmosphäre oberhalb der Photosphäre, simultan mit mittlerer Auflösung für die volle Sonnenscheibe und mit hoher Auflösung für einen Ausschnitt der Sonnenscheibe |
SPICE: Spectral Imaging of the Coronal Environment (Spektrale Abbildung der koronalen Umgebung) Consortium Lead: A. Fludra, Rutherford Appleton Laboratory, UK | Abbildende Spektroskopie der Korona im EUV |
STIX: X-ray Spectrometer/Telescope (Röntgenspektrometer/Teleskop) PI: S. Krucker, FHNW, Switzerland | Abbildende Spektroskopie der solaren thermischen und nicht-thermischen Röntgenstrahlenemission |
Metis: Koronagraph PI: M. Romoli, University of Florence, Italy | Abbildung der Sonnenkorona im sichtbaren Wellenlängenbereich (polarisiert und nicht-polarisiert) und im UV |
SoloHI: Heliospheric Imager (Heliosphärischer Imager) PI: R. A. Howard, NRL, USA | Sichtbares Sonnenlicht gestreut durch Elektronen des Sonnenwinds |
Österreichische Beteiligung an der Mission
Aus Österreich ist vor allem das Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften stark in die Mission involviert. Es wurde mit der Antennenkalibrierung beauftragt, baute den Bordcomputer für das Radiowelleninstrument „Radio and Plasma Waves“ (kurz RPW). Darüber hinaus ist ein Team um Baumjohann auch Co-Investigator beim Magnetometer (MAG). Im Fokus stehen Fragen zum stabileren Magnetfeld und zu den magnetischen Wellen und zu den Auswirkungen von Schwankungen auf das Sonnensystem. Die genauen Messungen werden dabei helfen, zu verstehen, wie sich die Corona aufheizt und Energie im Sonnenwind transportiert wird, heißt es seitens der ESA.
Am federführend von Schweizer Forschern entwickelten „Spectrometer Imaging Telescope X-rays“ (STIX) ist Astrid Veronig vom Institut für Physik der Universität Graz als Co-Investigator beteiligt. Das Teleskop soll Röntgenbilder der Sonne aufnehmen und damit die Frage klären, wie bei Sonneneruptionen geladene, hochenergetische Teilchen auf sehr hohe Geschwindigkeiten beschleunigt werden und sich im Weltraum ausbreiten. Veronig war für die wissenschaftliche Leitung der Softwareentwicklung für STIX verantwortlich.
Die Wiener Weltraumfirma RUAG Space zeichnet für die Thermalisolation des gesamten Satelliten verantwortlich. Mit einem Auftragsvolumen von rund zehn Millionen Euro ist dies einer der bisher größten Einzelaufträge für den laut eigenen Angaben größten Weltraumzulieferer Österreichs. Der Temperaturkontrolle kommt in Sonnennähe größte Bedeutung zu.
Materialen, die mit Temperaturen jenseits von minus 150 bis über 300 Grad zurechtkommen, sind an sich schon rar. Wenn es im Verlauf des Fluges, der 22 Mal um das Zentralgestirn führen soll, dann richtig heiß wird, schaut der Orbiter mit dem Hitzeschild in Richtung Sonne. Teile dieses Hitzeschilds kommen zwar von RUAG Space, für den Großteil der Konstruktion zeichnet aber der Rüstungs- und Raumfahrtkonzern Thales verantwortlich. Das gesamte Temperaturmanagement hinter dem Schild obliegt aber dem Team aus Wien, erklärte Projektleiter Wolfgang Pawlinetz.
Die Isolation gegenüber der Kälte des Alls und der Hitze der Sonne besteht aus mehreren Lagen hauchdünner metallbedampfter Polyester- und Polyimidfolien, die in Berndorf (NÖ) hergestellt wurden. RUAG Space übernahm diesmal auch den Schutz der einzelnen Messinstrumente. „Damit diese Instrumente überhaupt funktionieren, müssen sie auf bestimmten Temperaturen gehalten werden. Bei manchen sind das etwa minus 70 Grad Celsius“, sagte Pawlinetz. Die Systeme, die die Hitze ableiten, wurden für jedes Instrument eigens entwickelt und hergestellt. Insgesamt waren bis zu 30 Mitarbeiter in dem Projekt engagiert.
Links:
- ESA Solar Orbiter Mission: https://sci.esa.int/web/solar-orbiter/
- NASA Solar Orbiter Mission: https://www.nasa.gov/solar-orbiter
Autor: Dr. Hubert Untersteiner (ÖWF)
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