2020
MELiSSA-Pilotanlage an der Autonomen Universität Barcelona. Credit: Autonomous University Barcelona
Creating a circular Future
Unter dem Motto „Creating a circular Future“ forscht ein internationales Forschungskonsortium, aus 15 Partnereinrichtungen aus ganz Europa, unter der Leitung der Europäischen Weltraumagentur ESA an einem selbsterhaltenden Lebenserhaltungssystem für Langzeit-Weltraummissionen. Ziel von MELiSSA (Micro-Ecological Life Support System Alternative) ist es, Nahrung zu erzeugen, Wasser zurückzugewinnen und die Atmosphäre zu regenerieren, indem die dabei entstehenden Abfallprodukte, d.h. CO2 und organische Abfälle, sowie Licht als Energiequelle genutzt werden.
Pilotanlage an der Autonomen Universität Barcelona
Am Institut für Chemie-, Bio- und Umweltingenieurwesen der Autonomen Universität Barcelona wurde 2009 eine MELiSSA-Pilotanlage errichtet. Wenn Astronauten künftig sehr lange Reisen zu fernen Planeten unternehmen, müssen die Lebenserhaltungssysteme an Bord der Raumschiffe und der Basen beständig und zuverlässig für 24 Stunden am Tag und für 365 Tage im Jahr laufen, an Schaltjahren sogar 366 Tage. Der Chefingenieur Francesc Gòdia Casablancas betreut federführend die Pilotanlage des MELiSSA-Projektes.
„Auf der Internationalen Raumstation ISS existieren zwar bereits Kreisläufe für Atemluft und Wasser, doch Nahrung muss immer noch von Weltraumfrachtern angeliefert und biologischer Abfall wieder abtransportiert werden“, erläutert der Chefingenieur. Für Himmelkörper in größerer Entfernung wäre dieser Service nicht mehr mit vertretbarem Aufwand zu leisten. Schon der Mond ist je nach Orbit bis zu 100-mal weiter entfernt als die ISS. Und zum Mars bräuchte man mit heutiger Technik nur für die Hinreise bereits über ein halbes Jahr. Lieferservice für Nahrungsmittel per Rakete wäre dann schlichtweg zu teuer.
Die Biologie umarmen
„Um ins All zu reisen, müssen wir die Biologie umarmen“, erkannte 1987 bereits der Weltraumingenieur Claude Chipaux. Er war es auch, der die ESA von seinem Forschungsvorhaben für ein kontrolliertes Nahrungskreislaufsystem überzeugen konnte, an dem mittlerweile 15 Partnereinrichtungen in ganz Europa arbeiten. In der Pilotanlage der Autonomen Universität Barcelona soll der Kreislauf als Ganzes getestet werden. Funktionieren die Experimente über mehrere Jahre reibungslos wären sie tauglich für Weltraummissionen.
Funktionsweise der MELiSSA-Pilotanlage
Fotosynthesereaktor
In einem sog. Fotosynthesereaktor steigen unter intensiver LED-Lichtbestrahlung an vier Röhen, die in sattem Grün schimmern, winzige Kohlenstoffdioxid-Bläschen (CO2) auf und nehmen auf ihrem Weg Mikroalgen der Art Limnospira indica mit. Oben angekommen, schwappen die Algen in die beiden anderen Röhren hinüber und sinken wieder ab. Die Gasbläschen wirken wie ein Kochlöffel, der die trübe Suspension im Bioreaktor ständig umrührt. Gleichzeitig werden die Mikroalgen optimal mit CO2 versorgt, das sie für die Photosynthese benötigen. Im Rahmen der Fotosynthese stellen die Algen Sauerstoff und Nährstoffe her und liefern damit die Luft, die Astronauten auf künftigen Weltraummissionen einmal atmen würden.
Higher Plant Compartment (HPC)
Ein weiterer Sauerstoffproduzent ist das Higher Plant Compartment (HPC), indem höher entwickelte Pflanzen, wie Salat, Spinat oder Kartoffeln wachsen. Das HPC produziert zwar deutlich mehr Sauerstoff als der Algenreaktor, allerdings lässt sich der Vorgang nur langsam steigern oder senken. Im Algenreaktor hingegen erzeugen die Algen Sauerstoff proportiona. zum einfallenden Licht. Im Ernstfall könnte eine lebenswichtige schnelle Anpassung im Luftgemisch durch An- oder Ausschalten der LED-Leuchten erfolgen.
„Wir wollen den Sauerstoffgehalt der Luft bei rund 21% halten, ähnlich wie in der Erdatmosphäre“.
Frances Gòdia Casablancas: Chefingenieur der MELiSSA-Pilotanlage an der Autonomen Universität Barcelona
Den O2-Gehalt konstant bei 21% zu halten, ist wichtig, denn bereits bei weniger als 18% kann es zu Gesundheitsschäden kommen und unter 10% herrscht Lebensgefahr. Wenn sauerstoffatmende Lebewesen wach sind, atmen sie mehr als im Schlaf. Aus diesem Grund muss der O2-Gehalt jeweils morgens und abends nachgeregelt werden. Auch ein zu hoher O2-Gehalt ist nicht erwünscht und wäre ein Risikofaktor. Man darf nicht vergessen, dass Sauerstoff ein relativ reaktives Gas ist und es im Blut der Astronauten zu unerwünschten Reaktionen kommen könnte. Auch die Brandgefahr an Bord eines Raumschiffes oder eine Weltraumbasis wäre erhöht. Beide Risikofaktoren können im All, mehrere Monate von der Erde entfernt, gravierende Folgen haben.
Im Reinraumanzug in den Bioreaktorraum
Wenn die Wissenschaftler den Bioreaktorraum betreten, dann nur in einem blauen Reinraumanzug. Damit wird verhindert, dass eine mikrobielle Kontamitation von außen erfolgt. Darüber hinaus wird alles, was in den Kreislauf kommt, gefiltert. Permanent wird die Luft umgewälzt und durch einen sogenannten HEPA-Filter geschickt, der kleinste Partikel aus der Luft abfängt.
Nitrifizierungsreaktor (NR)
Im Nitrifizierungsreaktor setzen die Bakterienkulturen Nitrosomonas und Nitrobacter Ammonium zu Nitrat um. Im Reaktor wird das Ammonium noch zugegeben, soll aber später auf Raumfahrtmissionen aus menschlichen und tierischen Hinterlassenschaften, also Fäces und Urin, in einer separaten Zersetzungsstufe aufbereitet werden. Der NR soll später das Nitrat, das für die Pflanzenversorgung notwendig ist, liefern.
Laborbereich für Versuchstiere
Im Februar ist es geplant, dass Laborratten, die sozusagen als Versuchsastronauten fungieren, den Sauerstoff aus dem Fotosynthesesystem atmen. Die jungen Ratten werden werden dafür vier bis sechs Wochen in einem Stahlgehäuse, das mit dem Überlebenskreislauf verbunden ist, bleiben. Danach werden sie ausgetauscht, denn der steigende O2-Verbrauch und CO2-Ausstoß der wachsenden Ratten würden irgendwann das Experiment verfälschen. Wie später im Raumschiff gibt es auch im Labor eine separate Luftschleuse, durch die die Labortiere in den Versuchskreislauf gelangen und auch wieder verlassen. „Deren Dichtheit ist auf einem höheren Niveau als die der ISS“, erläutert Gòdia Casablancas stolz.
Nahrungsfluss
Im Lebenserhaltungssystem sollen nicht nur Salate, Spinat und Kartoffeln aus dem HPC als Nahrung dienen, sondern auch die Algen sollen die Grundlage für eine Algensuppe für künftige Marsreisende dienen. Bis der Nahrungsfluss aber vollständig in das lebenserhaltende Kreislaufsystem integriert ist, dauert es noch eine Weile. Zunächst müssen die jeweiligen Einheiten nach und nach miteinander gekoppelt werden und ihre Funktion in langen Testphasen beweisen.
„Unser Ziel wäre der kontinuierliche Betrieb über ein bis zwei Jahre“.
Gòdia Casablancas
Projektbudget
Erst im November 2019 hat der ESA-Ministerrat eine Budgeterhöhung für die Forschungsorganisation beschlossen. Wie viel davon bei der Erforschung der Lebenserhaltungssysteme landet, ist noch offen, aber die Zeichen für das MELiSSA-Projekt stehen nicht schlecht. Es dürfte auch künftig weiter finanziert werden.
Links:
MELiSSA-Foundation Webseite: https://www.melissafoundation.org/
Autor: Dr. Hubert Untersteiner (ÖWF)
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