2020
Unser Polarsternpreisträger 2020 – Alexander Pikhard – ist seit vier Jahrzehnten als Amateurastronom und Astrofotograf tätigt. 1998 hat er die Wiener Arbeitsgemeinschaft für Astronomie (WAA) mitbegründet. Es ist ihm ein großes Anliegen komplizierte wissenschaftliche Inhalte verständlich zu präsentieren und seine Begeisterung für die Astronomie weiterzugeben. Im folgenden Interview können wir einen kleinen Einblick in seine Leidenschaft erhaschen.
ÖWF: Herr Pikhard, Sie sind ehrenamtlicher Präsident und Mitbegründer der Wiener Arbeitsgemeinschaft für Astronomie. Wollten Sie Ihre Leidenschaft je zum Hauptberuf machen? Oder anders gefragt, ist die astronomische Arbeit Ihr Zweitberuf und/oder Berufung?
Nein, zum Hauptberuf wollte ich meine Leidenschaft nie machen, das lag auch an den trüben Berufsaussichten, die die Astronomie in Österreich in Zeiten vor den Beitritten zu internationalen Forschungsorganisationen hatte. Aber meine astronomische Arbeit ist auf jeden Fall Berufung und vom Arbeitspensum her auch ein Zweitberuf.
ÖWF: Im Laufe Ihrer vierzigjährigen astronomischen Tätigkeit haben Sie unzählige Vorträge gehalten. Haben Sie diese gezählt und wissen Sie, wie oft Sie über Astronomie und Astrophotographie referiert haben? Oder können Sie eine Schätzung abgeben?
Ehrlich gesagt, nein. Ich habe sie nicht gezählt. Als ich noch regelmäßig an den Wiener Volkssternwarten tätig war – das ist jetzt auch schon 25 Jahre her – habe ich einmal überschlagsmäßig 1.000 geschätzt. Also grob geschätzt könnte es heute in etwa das Doppelte sein.
ÖWF: Welche Fragen wurden Ihnen im Lauf der Zeit zum Thema Astronomie am häufigsten gestellt? Und vor allen Dingen, was sind Ihre Antworten darauf?
Die mit Abstand häufigste Frage ist immer die nach der Entfernung, „wie weit ist das denn jetzt weg?“. Gefolgt von „Existiert es denn jetzt überhaupt noch?“. Und dann auch „woher weiß man denn das?“.
Die Frage nach der Entfernung beantworte ich oft nicht in Zahlen, die sich ohnedies kein Mensch vorstellen kann, sondern in Vergleichen. Etwa, dass der Mond so weit weg ist, dass wir die Erde 30 Mal nebeneinanderstellen können. Und bei Planeten, dass sie soundso viel Mal weiter entfernt sind als der Mond. Ich rechne mir das mit einem Schummelzettel vor jedem Vortrag aus, wieviel es an dem Tag gerade ausmacht. Oder rasch im Kopf. Bei Sternen erkläre ich es immer mit der Zeit, die das Licht – das in einer Sekunde vom Mond zur Erde gelangt – zu uns gebraucht hat. „Sie sehen diesen Stern, wie er ausgesehen hat, als Sie gerade geboren wurden“, dieses Modell verstehen alle. Ich hänge da gerne noch ein „sehen Sie, der Blick in die Sterne ist einer in die Vergangenheit, nicht in die Zukunft“ dran. Das hat schon viele bewogen, eine gewisse Anschauung zu überdenken.
Die Frage, ob die Objekte (meist sind Sterne gemeint), die wir sehen, überhaupt noch existieren, beantworte ich meist auch mit Metaphern ohne konkrete Zahlen, wie etwa „1000 Jahre sind für einen Stern gar nichts“. Um dann aber doch die Fragenden nicht ganz zu enttäuschen, „Die Chance, dass ein Gestirn, das wir sehen, in Wirklichkeit nicht mehr existiert, ist zwar sehr gering, aber nicht null.“
Schwieriger wird es da schon mit der letzten der drei Fragen. Mir ist stets wichtig, den Leuten zu vermitteln, wie Naturwissenschaft funktioniert. Dass sie nicht postuliert. Sondern Theorien aufstellt, die kritisch angezweifelt werden. Und dass sich unser Wissen über die Dinge entwickeln muss und nie als abgeschlossen angesehen werden darf. Meist folgt dann noch, „das ist der heutige Stand unseres Wissens“. Mir ist auch stets wichtig zu erwähnen, dass Wissenschaft in ihrer Art verstanden und erlebt, aber nicht auswendig gelernt werden muss.
ÖWF: Gab es auch eine (oder mehrere) kuriose Frage, die sie nicht vergessen haben?
Vielleicht weniger Fragen als Feedbacks. Als jemand einmal bat, dass ich Arktur zeige, und nachdem ich das tat, sehr herzlich dankte mit der Bemerkung, „wissen sie, ich komme nämlich von dort“, machte mich das, aber nur kurz, sprachlos. Mein Konter, „Großartig! Wie sieht es denn dort aus?“ wurde leider nicht zu meiner Zufriedenheit beantwortet.
Oder, als ich vor vielen Jahren Gästen an einem großen Teleskop den Mars zeigte und, während eine Person nach der anderen durch das Instrument blickte, erklärte, was denn gerade zu sehen ist. Natürlich hole ich von Zeit zu Zeit ein Feedback ein: „Können Sie die Polkappe gut sehen?“ – Ein Besucher bejaht meine Frage enthusiastisch, als ich feststelle, dass er sein Auge nicht am Okular des Teleskops hat, sondern an einem hölzernen Handgriff. War ich mit meiner Schilderung zu suggestiv?
In letzter Zeit werden mir oft Fragen gestellt, zu denen ich die Antwort nur wenige Minuten zuvor im Vortrag eigentlich gegeben habe. Das stimmt mich nachdenklich, weil es wirklich oft vorkommt und viele ganz offenbar entweder das Zuhören verlernt haben oder sonst irgendwie abgelenkt sind.
ÖWF: Haben Sie als Astrofotograf ein Lieblingsmotiv?
In der Tat: Den Mond! Das stößt bei vielen auf Verwunderung, denn die meisten, die den Himmel fotografieren, mögen den Mond nicht besonders, weil er mit seinem Licht viele lichtschwache Objekte überstrahlt. Dabei übersehen sie, dass der Mond ein unglaublich vielschichtiges, abwechslungsreiches Beobachtungsobjekt ist.
Wir sehen ein riesiges Schattenspiel, und durch die vielfältigen Bewegungen des Mondes wiederholt sich der genaue Anblick des Mondes so gut wie nie. Sogar Farben lassen sich dem Mond entlocken! Das ist zwar nicht ganz einfach und geht nicht immer, legt aber tatsächlich die genaue Zusammensetzung der Mondoberfläche offen.
Manchmal auch, weil Mondfotos schneller gemacht sind als jene von schwachen Nebeln. Oder weil Mondfotos auch aus der Stadt und damit von daheim gelingen – in Zeiten des Lockdowns ein enormer Vorteil. Aber vor allem, weil der Mond ein schönes Himmelsobjekt ist.
ÖWF: Was schätzen Sie besonders an Ihrer Arbeit bei der WAA?
Ja, das verrät schon unsere Zielsetzung: „Als naturwissenschaftlich orientierte Gruppe bekennen wir uns zu dem verbindenden Gedanken der Astronomie. Der Sternenhimmel fasziniert uns alle. Menschen blicken seit Jahrtausenden bewundernd zu ihm auf. Ungeachtet kultureller, nationaler oder religiöser Unterschiede bildet der Sternenhimmel ein Ort der Begegnung für alle Menschen auf der Erde. Die Grenzen, die wir untereinander aufgebaut haben, verschwinden, wenn wir zum Himmel blicken. Wo immer, wer immer oder was immer wir sind, wir teilen alle den gleichen Himmel.
Diese Faszination zu teilen ist integraler Bestandteil dieser Einstellung. Amateurastronomen stellen ihre Teleskope regelmäßig in den Dienst der Öffentlichkeit und laden andere ein, mit ihnen das Weltall kennen zu lernen. Auch diese Leidenschaft, den Himmel zu teilen, überspannt politische und kulturelle Grenzen.“
Sind an sich das Verbreiten und Teilen der Faszination am Universum eine schöne Sache, so ist das, was von den Menschen zurückkommt, wenn der Funke erst einmal übergesprungen ist, das wirklich Erhebende. In einem breiten Spektrum: Schon ein „Wow!“ beim ersten Anblick des Saturn gibt einem das positive Gefühl, einer Person eine Freude gemacht zu haben. Wenn sich dann Leute bedanken mit den Worten „es ist unglaublich beeindruckend, was ihr hier macht, danke, dass ihr das möglich gemacht habt!“, dann war das jede Mühe wert.
Das könnte man auch allein erreichen. Allerdings: In der WAA erreichen wir das als Team von Freunden, und geteilte Freude ist nicht halbe Freude, sondern Freude hoch x.
ÖWF: Was wünschen Sie sich für die WAA?
Zwei Dinge. Zum einen, dass der WAA ihre innerste Triebfeder stets erhalten bleibt (und vielleicht verrate ich da jetzt sogar ein Geheimnis): Die Flexibilität, die Fähigkeit und der Wille, sich stets zu erneuern. Ich glaube, sie ist der Schlüssel, Begeisterung für Astronomie in einer sich schnell verändernden Gesellschaft stetig zu säen. Als wir begannen, war das Internet neu, wir beschlossen, primär auf das Medium WWW zu setzen, es gab nie eine Zeitung, nie ein Vereinslokal. Es hat funktioniert. Dann kam Web 2.0 und mit ihm Social Media. Durchaus nicht ohne inneren Widerstand setzten wir auf diese Plattformen, es hat funktioniert. Dann kam – leider – Corona und zwang uns zur nächsten Transformation, ein wenig früher als ohnedies geplant: Streaming unseres Angebots, Onlinevorträge und -kurse. Und es funktioniert. Natürlich wünsche ich mir wieder Kontakte von Person zu Person, die werden auch wiederkommen.
Zum zweiten, und vielleicht verrate ich hier noch ein Geheimnis, dass ich beizeiten einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin finde. Nicht aus Amtsmüdigkeit und auch nicht aus sonst irgendeinem Grund außer jenem, dass es keiner Sache guttut, wenn eine Person über mittlerweile fast ein Vierteljahrhundert die Richtung vorgibt. Es ist ja nicht so, dass ich in der WAA der alleinige Entscheider bin, wir sind ein sehr aktives, buntes, kreatives Team, aber die Handschrift ist nun einmal unverkennbar. Die WAA hat sich einen guten Namen gemacht und soll nach Möglichkeit noch sehr lange bestehen, da braucht es ganz natürlich eine Auffrischung – im Sinne des ersten oben geäußerten Wunsches.
ÖWF: Wie kann man Ihre Arbeit unterstützen? Und wie kann man mitmachen?
Die zweite Frage ist einfacher zu beantworten, wie kann man mitmachen: Indem man kommt und sagt: „Hier bin ich!“. Mitmachen können alle. Voraussetzung ist Interesse für Astronomie und eine naturwissenschaftliche, aufgeklärte Geisteshaltung. Neugier. Und natürlich auch etwas Freizeit. Aber kein Vorwissen, keine akademische Ausbildung, keine jahrelange Praxiserfahrung. Bei uns kann man Astronomie von den allerersten Grundlagen an kennenlernen, wie weit bleibt allen selbst überlassen.
Zur ersten Frage: Alles, was uns hilft, unsere Ziele zu erreichen, ist willkommen. Das Spektrum ist breit und reicht von Geld- und Sachspenden über spezielle Dienstleistungen bis zum persönlichen Einsatz ohne oder mit Vortragstätigkeit. Samt der Möglichkeit, sich bei uns zu entwickeln. Natürlich ehrenamtlich.
Vielen Dank, Herr Pikhard, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben und Danke für die Anekdoten, an denen wir teilhaben durften. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Spaß und Freude bei Ihren Beobachtungen des Sternenhimmels und bei Ihrer Arbeit in der Wiener Arbeitsgemeinschaft für Astronomie.
Weitere Informationen unter anderem auch zur SternenHimmelAkademie: https://www.waa.at
Das Interview führte Marlen Raab, ÖWF Media Team.
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