2012
Interview mit Dr. Dietmar Hager, Polarsternpreisträger 2012
ÖWF: Herr Dr. Hager, wie kommt man als Spezialist für Handchirurgie zu einem solch enormen Engagement gegen Lichtverschmutzung?
Als ich 2008 auf der Dark Sky Tagung war in Wien, da trat Itaii Kloog auf, ein Chronobiologe, der über seine Forschungen berichtet hatte. Er erzählte uns davon, dass Licht bei Nacht uns sehr schwer krank machen kann. Mittlerweilen hat die WHO Lichtverschmutzung als Krebsrisikofaktor definiert und bestätigt. Als ich damals aus der Vortragsserie heimgefahren bin, sagte ich zu mir, das muss unters Volk: auf allen Ebenen: Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft, als auch jeder einzelne Bürger.
ÖWF: Was genau bedeutet Lichtverschmutzung?
Es ist der übertriebe Luxus an künstlichem Licht bei Nacht. Ein Symbol für die Verschwendungssucht, die wir uns zum Laster haben werden lassen.
Wir haben das gesunde Augenmaß verloren für die Menge an Licht, die wir wirklich benötigen. Es ist gleichzeitig eine Visitenkarte und ein Symbol für die Gesellschaft in der wir leben. Es kommt dabei der achtlose Umgang mit irdischen Ressourcen zum Ausdruck. Und das ist wiederum angetrieben aus der Tatsache, dass wir eine angstgesteuerte Gesellschaft geworden sind. Tatsächlich brauchen wir diese vorhandene Lichtintensität und streubreite nachweislich nicht für die Sicherheit.
ÖWF: Die Risiken von zu viel Licht bei Nacht für z. B. Insekten, Schildkröten und auch Vögel wurden viel besprochen und publiziert. Neben der Energieverschwendung welche konkreten Schäden, kann der Mensch durch eine zu „helle“ Nacht erleiden?
Wir unterscheiden zwei wesentliche Quellen der Lichtverschmutzung: 1) Licht, das bei Nacht von außen ins Schlafzimmer eindringt. 2) Licht, das wir selbst in unseren Schlafzimmern anlassen, als Nachtlicht, als Computerbildschirm oder Fernsehlicht, etc. Lichtverschmutzung macht uns krank: Kleinstkinder laufen Gefahr, eine retinale Sehschwäche zu entwickeln, die unheilbar ist. Lichtverschmutzung kann das Immunsystem stark negativ beeinflussen und kann, wie Kloog uns gezeigt hat, sogar zu bestimmten Formen der Krebserkrankung führen. Klarerweise gibt es viel schwerwiegendere Risikofaktoren, wie Rauchen, Alkohol, Übergewicht, Bewegungsmangel etc. aber es zeigt, dass dieser nutzlose Energieverbrauch so weite Kreise ziehen kann.
ÖWF: Wie sehr beeinflusst die Lichtverschmutzung Ihr Hobby die Astrofotografie? Hat es Veränderungen in den letzten Jahren gegeben?
Die Astrofotografie ist mittlerweile durch meine rege Vortragstätigkeit sogar zu meinem Zweitberuf geworden. Und natürlich ist das Licht bei Nacht massiv störend! Stellen sie sich vor: das Licht der Sterne und Welten in andern Galaxien konnte bisher ungehindert zu uns durchdringen, seit wir aber das Licht bei Nacht immer mehr werden lassen, wird dieses Sternenlicht verschluckt in einer künstlich völlig überzogenen nächtlich beleuchteten Atmosphäre über unseren Kommunen und kommt nicht mehr durch. Der Plot dahinter: Sternenlicht hat uns immer schon geholfen, die Welt zu verstehen in der wir leben. Astronomie stiftet unser Weltbild! Wir dürfen gespannt sein, wie klein das Weltbild unserer Kinder und Kindeskinder zusammenschrumpfen wird, wenn die Nacht einmal völlig abgeschafft sein wird.
ÖWF: Was kann jeder persönlich tun, um Lichtverschwendung und die damit verbundenen Gesundheitsrisiken zu verringern bzw. ganz zu vermeiden?
Regel 1: Überprüfe die Notwendigkeit der Beleuchtung
Ist die Leuchte wirklich notwendig? Fragen Sie sich grundsätzlich bei jeder Beleuchtung im Außenraum, ob diese tatsächlich notwendig ist.
Regel 2: Von oben nach unten beleuchten
Beleuchten Sie von oben nach unten. So vermeiden Sie, dass Licht in die Atmosphäre abstrahlt. Nehmen Sie Rücksicht auf die Umwelt, auf die Nachbarn, auf die nachtaktiven Tiere, auf ihre eigene Gesundheit. Seien sie einfach ein bewusster Mensch.
Regel 3: Leuchten abschirmen
Achten Sie darauf, dass vorhandene Lampen abgeschirmt sind. Optimal ist es, wenn der Leuchtkörper nicht sichtbar ist. Die besten Umweltbedingungen können durch sogenannte full cut off-Leuchten geschaffen werden. Ihr Licht strahlt über plane Verglasungen ausschließlich nach unten ab.
Regel 4: Beleuchtungsstärke und Beleuchtungsart anpassen
Wählen Sie die richtige Beleuchtungsstärke. Und achten Sie darauf, dass die Beleuchtungsart der Situation angepasst ist.
Regel 5: Leuchtdauer zeitlich begrenzen
Die wenigsten Lampen müssen die ganze Nacht hindurch brennen. Begrenzen Sie die Beleuchtungsdauer zeitlich sinnvoll.
Regel 6: Information weitergeben
Das eigene Umfeld soll mit adäquater Information versorgt werden.
Regel 7: Steuerung der Nachfrage durch achtsamen Einkauf
Kaufen Sie nicht irgendeine Laterne oder Lampe. Ziehen zum Lampenkauf 3 vernünftige Kriterien heran:
- Wohin lässt die Laterne das Licht strahlen? Vermeiden Sie dabei Laternen, welche das Licht zu allen Seiten abgeben. Wählen sie jene, welche das Licht möglichst nur nach unten auslassen.
- Welche Leuchtmittel sind verwendbar? Vermeiden Sie Quecksilberhaltibe Leuchtmittel und jene mit einem hohen Blauanteil.
- Brauche ich die Laterne wirklich?
Fassen Sie Mut zu hinterfragen, ob das angebotene auch genau jene Kriterien erfüllt. Fassen Sie Mut eine eigene Meinung zu haben und sie auch zu vertreten.
ÖWF: Möchten Sie mit Ihrem Hobby etwas Konkretes entdecken, haben Sie ein Beobachtungsziel/-wunsch? Suchen Sie etwas oder lassen Sie sich immer wieder neu von Bildern überraschen?
Für die Frage bin ich dankbar!
Ich habe keinerlei wissenschaftliche Ambition in meiner Tätigkeit. Mein Antrieb die Sterne zu fotografieren hat folgende Motivation:
Die Schönheit und Ästhetik im Nachthimmel berührt meine Seele. Dies ist mir ein unschätzbares Werkzeug zur RELIGIO also zur Rückbindung an die Natur, die wir Menschen dringendst brauchen. Und ich liebe es, die Menschen daran teil haben zu lassen. So strebe ich nach möglichst schönen „pretty picture“ Astrofotos, um daran Geschichten zu knüpfen, die ich zu den Menschen trage, die sich wenig mit der Sternenwelt auskennen oder davon wissen. Das Bild dient als Medium, als Transportgefäß mit emotionalem Inhalt.
ÖWF: Sind Astronomen für das Thema Lichtverschmutzung empfänglicher als Nichtastronomen?
Nein. Empfänglich ist jeder Mensch, der fähig ist zur Abstraktion und bereit ist, in unserer hochbeschleunigten Welt inne zu halten und einen Moment mal im jetzt anzukommen. Dann stellt er fest, dass vieles in unserem System nicht stimmt. Lichtverschmutzung ist ja nur eines der vielen hausgemachten Probleme…
ÖWF: Vielen Dank Herr Dr. Hager, dass sie uns etwas Ihrer Zeit geschenkt haben, um für dieses wichtige Thema weitere Öffentlichkeit zu schaffen.
Marlen Rab
Dietmar Hager wurde am 12. April 2012 mit dem Polarsternpreis des ÖWF ausgezeichnet für sein Engagement und persönlichen Einsatz rund um das Thema Lichtverschmutzung & Astronomie.
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